Sie sind hier: Startseite ›› Themen und Berichte ›› Geschichte
Berlin, im Juli 2010 – Die Aussicht, in den Weiten Russlands unentgeltlich zu beträchtlichem Grundbesitz zu kommen, hat viele landarme Familienväter bewogen, nach „Neurussland“ zu ziehen, zumal ihnen Zar Alexander I., Sohn einer württembergischen Prinzessin, langjährigen Verzicht auf Abgaben, Befreiung vom Militärdienst, Selbstverwaltung und ungehinderte Religionsausübung zugesichert hatte.
Die stattliche Sankt Johannes-Kirche bauten die Helenendorfer Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1857 wurde sie eingeweiht.
|
Im Sommer 1817 begann der Exodus - ab Ulm auf der Donau hinunter bis zum Delta im Schwarzen Meer. Solche Schiffsreisen dauerten bis zu acht Wochen, und fast täglich waren durch sengende Hitze und ansteckende Krankheiten Todesfälle zu beklagen.
Bis sie endlich in der seit langem verlassenen Tatarensiedlung Chanochlar eintrafen, auf deren Boden sie Helenendorf gründen, sollten fast zwei entbehrungsreiche Jahre vergehen.
Vesper während der Weinlese in Helenendorf
|
Ende 1818 ließen sich 135 schwäbische Familien in dem Ort nieder. Das ungewohnt heiße Klima und die Malaria sorgten dafür, dass es zwei Jahrzehnte lang mehr Sterbefälle als Geburten gab.
Erst in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts ging es langsam aufwärts. Ihren kulturellen Höhepunkt erlebte die schwäbische Kolonie 1919, als sie mit Gästen aus Deutschland den hundertsten Jahrestag ihrer Gründung begingen.
Die aus Reutlingen stammenden Familien Hummel, Vohrer und Votteler hatten es als Gutsbesitzer und Weingroßhändler zu großem Ansehen gebracht. Sie machten Helenendorf bis ins Zentrum Russlands hinein bekannt.
Im Oktober 1941 wurden die schwäbischen Helenendorfer nach Kasachstan deportiert.
|
Mit dem Ersten Weltkrieg beginnt die Zeit der Repression gegen die schwäbischen Kolonisten. 1920 werden die großen Betriebe enteignet und schließlich auch die Landwirtschaft kollektiviert. 1928 wird aus Helenendorf die Ortschaft Chanlar.
Am 18. und 19. Oktober 1941 werden nach den Siedlern an der Wolga, in der Ukraine und auf der Krim auch die Deutschen im Kaukasus nur mit einem Stück Handgepäck nach Sibirien und Zentralasien deportiert.
Mehr zum Thema bei ORNIS |
- „Steht der Kölner Dom noch?“ - Zu Besuch bei dem letzten Deutschen in Helenendorf |
Artikel bookmarken: |
zum Autor
|
Ulrich Mohl hat Geschichte, Philosophie, Geographie und Französisch in Tübingen studiert und war an verschiedenen Gymnasien tätig. Daneben erlernte er die russische Sprache und bereiste die Sowjetunion. Er lebt in Pfullingen und verlegt seit 1997 Bücher. siehe auch: Ulrich Mohl, Vergessene Schicksale schwäbischer Auswanderer in Rußland, in: Reutlinger Geschichtsblätter, NF 36, 1997, S. 265-335 |
zum Text
|