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Russisch vergisst man nicht so schnell

Besuch in Kasachstan – 15 Jahre später
Russisch vergisst man nicht so schnell

Alljährlich im August findet an der Deutsch-Kasachischen Universität Almaty (Kasachstan) traditionell eine Sommerakademie statt. 25 der 49 Teilnehmer kamen in diesem Jahr aus Deutschland, unter ihnen auch der 24-jährige Igor Kühn, der 1993 mit seiner Familie aus Kustanaj nach Deutschland übersiedelt war. In einem Interview für die Deutsche Allgemeine Zeitung berichtet er über seine Sicht auf das Leben von Russlanddeutschen in Deutschland.

Almaty im September 2008 –

Igor, viele Russlanddeutsche aus der gesamten GUS leben heute in Deutschland. Was meinst Du, kommen die meisten dort zurecht?
Es hängt alles von jedem selbst ab und inwieweit er bereit ist, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Die einen haben es geschafft, aber viele eben auch nicht. Manche sitzen nur zu Hause und lernen nicht einmal Deutsch. Solche Menschen können sich natürlich nicht integrieren. Wie will man denn mit den Einheimischen in Kontakt treten? Das geht nicht. Man kann dann auch nicht fernsehen oder Zeitung lesen. Diese Menschen kapseln sich in ihren Gruppen ab und schauen nur russisches Fernsehen.

Wie kommt das? Ist es wirklich so schwer, sich in der deutschen Gesellschaft zu integrieren?
Zum einen hängt das natürlich von uns Russlanddeutschen ab, zum anderen aber auch von den einheimischen Deutschen. 90 Prozent der Bundesbürger wissen überhaupt nicht, was Russlanddeutsche sind und warum sie hier nach Deutschland kommen. In den Schulen spielt das Thema keine Rolle, und nur die Wenigsten interessieren sich dafür, warum 3,5 Millionen Russlanddeutsche nach Deutschland gekommen sind. Viele halten uns einfach für Russen, die zum Geldverdienen nach Deutschland kommen. Immer wieder hört man die Frage: „Du bist doch’n Russe? Wieso hast Du einen deutschen Namen?“

Was bedeutet für Dich der Begriff „Russlanddeutscher“?
Auf jeden Fall ist es schon eine besondere Gruppe von Menschen. Hier in Kasachstan sind wir weder Russen noch Kasachen und dort sind wir keine Deutschen, sondern Russen. Viel hängt natürlich von den einzelnen Menschen und der konkreten Situation ab. Ich kenne einige, die sich so gut in Deutschland integriert haben, dass sie fast schon selbst vergessen haben, dass sie einmal aus Russland oder Kasachstan gekommen sind.

Was glaubst Du, wird der Begriff „Russlanddeutscher“ auch noch in Zukunft Bestand haben oder werden die Russlanddeutschen zu Russen und vergessen ihre Wurzeln?
Das könnte man bald befürchten, weil vielen jungen Menschen das überhaupt nichts mehr bedeutet. Alles wird russifiziert. Viele junge Menschen interessiert nicht, woher sie stammen. Und in Deutschland bleiben wir Russen. Selbst wenn ich dort geboren wäre, gälte ich als Russe, weil meine Eltern nicht aus Deutschland stammen. Ich für meinen Teil halte es für sehr wichtig, meine eigene Geschichte zu kennen. Mir gefällt beispielsweise, dass bei den Kasachen immer jeder weiß, wer seine Vorfahren waren. Ich würde auch gern alles über meine Familie wissen.

Du sprichst völlig akzentfrei deutsch und russisch. Ist das Deinen Eltern zu verdanken, dass Du die russische Sprache nicht vergessen hast?
Ja, meine Eltern haben darauf geachtet, dass ich Russisch nicht ganz vergesse. Ich tue auch einiges dafür, indem ich immer mal wieder russisch schreibe und lese. Außerdem wäre es recht dumm, etwas zu vergessen, was man einmal gekonnt hat.

Wenn Du einmal Kinder haben wirst, in welcher Sprache wirst Du mit ihnen sprechen?
Wenn ich einmal Kinder habe, werden sie natürlich auch Russisch lernen. Ich könnte mir vorstellen, dass meine Eltern mit ihnen russisch sprechen. Ich würde mit ihnen deutsch und russisch reden. Kindern fällt es noch recht leicht, mehrere Sprachen zu lernen. […]

Es gibt übrigens viele, die nach Deutschland gegangen sind und nach einigen Jahren behaupten, dass sie Russisch ganz vergessen haben. Kann man tatsächlich die russische Sprache vergessen?
Ich kann das nicht so richtig ernst nehmen. Sicher, wenn Du nach Honduras ziehst, wo es keine Russen gibt, kannst du die russische Sprache vielleicht verlernen. Aber doch nicht in Deutschland! Umso mehr, da Du ja dort auch russisches Fernsehen empfangen kannst.

Es gibt hier immer noch Menschen, die noch nach Deutschland ausreisen wollen.
Wenn Du Dich hier eingerichtet hast, ein normales Leben führst, verstehe ich nicht, warum man sein Heimatland verlassen und in ein anderes Leben gehen sollte. Schließlich hat man hier ja auch seine Wurzeln, seine Freunde und seine Arbeit. Man kann auch in ein anderes Land gehen und alles verlieren. Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahr war die Situation völlig anders. Heute hat sich viel verändert. Die Sozialhilfe ist im Vergleich zu früher wesentlich niedriger. Auch die Einreisebedingungen haben sich geändert. Es werden höhere Erwartungen an die Deutschkenntnisse gestellt. Heute kann ich mir nur schwer vorstellen, warum jemand ausreisen will, wenn man hier auch ordentlich leben kann. Was mich persönlich betrifft, so habe ich mich bereits an das Leben in Deutschland gewöhnt. Ich bin dort aufgewachsen. […]

Quelle: Аленa Юдинa: „В Германии русский язык трудно забыть“,
Alena Judina: „V Germanii russkij jazyk trudno zabyt‘“,
http://deutsche-allgemeine-zeitung.de/rus/ vom 19. September 2008;
Übersetzung: Norbert Krallemann



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