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Eine verpasste Gelegenheit

Zur Konferenz über Russlanddeutsche im 21. Jahrhundert

Ende August fand im Deutsch-Russischen Haus in Moskau die Konferenz „Die Russlanddeutschen im 21. Jahrhundert“ statt. Die Veranstaltung der Russlanddeutschen konnte nicht die Erwartungen erfüllen, die viele mit ihr verknüpft hatten. Kein Ausgleich oder Kompromiss zwischen den verfeindeten Gruppen - der Föderalen Kulturautonomie (FNKA) um Viktor Baumgärtner und dem Internationalen Verband der deutschen Kultur (IVdK) von Heinrich Martens – stattdessen sind die Gegensätze nur noch deutlicher zu Tage getreten.


Moskau, im September 2008 – Etwas irreführend war bereits der Verweis auf das neue Jahrhundert im Thema der Konferenz: Sollte hier etwa der erste Schritt für einen Zusammenschluss aller Russlanddeutschen in einer gemeinsamen handlungsfähigen Struktur mit gemeinsamen Zielen und Aufgaben vollzogen werden? Die ersten anderthalb Stunden, die mit Eröffnungs- und Begrüßungsreden angefüllt waren, brachten außer leichten Ermüdungserscheinungen nichts weiter hervor: schier endlose historische und statistische Betrachtungen über den vergangenen und heutigen Zustand des durch Repressalien und Deportationen schwer geprüften Volkes ohne eine einzige Anmerkung darüber, wie die deutsche Minderheit in Russland in Zukunft ihre nationale Identität bewahren oder ihre traditionelle Kultur pflegen will, kein Wort darüber, wie das Interesse an der deutschen Sprache gesteigert werden soll.

Mit kühler Zurückhaltung wurde auch die Grußansprache des ehemaligen Botschafters der UdSSR in Bonn, Viktor Falin, aufgenommen, die mit den Worten endete: „Für den Erhalt der Nationalität muss man deutsch sprechen und deutsch denken.“ Der ewige Gegenspieler der FNKA, der Vorsitzende des IVdK Heinrich Martens, konnte ein wenig Bewegung ins Spiel bringen, als er sich dafür aussprach, dass die ethnisch-kulturelle Entwicklung der Russlanddeutschen überall dort vorangetrieben werden muss, wo Russlanddeutsche leben. Allerdings hatte ihm das Präsidium, das vom Präsidenten der FNKA Viktor Baumgärtner geleitet wurde, einen Auftritt am ersten Tagungstag unter Verweis auf das strenge Tagungsreglement verwehrt.

Eine gewisse Gleichgültigkeit legten die staatlichen Stellen Russlands an den Tag. An der Konferenz nahm lediglich die Duma-Abgeordnete Tamara Pletnjowa von der Fraktion der Kommunistischen Partei Russlands teil. Weder der Duma-Ausschuss für Nationalitätenangelegenheiten noch das Ministerium für regionale Entwicklung, auch zuständig für die Russlanddeutschen, hatten einen Vertreter zur Konferenz entsandt. Das ließ den Referenten natürlich breiten Raum, um die staatlichen Stellen Russlands wegen fehlenden Interesses an den Belangen der deutschen Minderheit zu kritisieren. […]

Mit großer Spannung wurde der Auftritt des deutschen Aussiedlerbeauftragten  Christoph Bergner erwartet. Und dieses Mal wurde der Parlamentarische Staatssekretär sehr deutlich: „All unsere Anstrengungen laufen ins Leere, wenn die führenden russlanddeutschen Organisationen keine gemeinsame Sprache sprechen und nicht in einer geschlossenen Front auftreten“, sagte Bergner mit Blick auf den ewigen Streit zwischen IVdK und FNKA. „Die Bundesregierung kann keine effektive Hilfe leisten, wenn die Deutschen in Russland kein gemeinsames Ziel verfolgen.“

Des Weiteren betonte Bergner, dass er den Erhalt und die Förderung der deutschen Minderheit in Russland für ein wichtiges Ziel hält. In erster Linie sei das mit der Popularisierung der im Laufe der Zeit fast verloren gegangenen deutschen Sprache und einer aktiven Tätigkeit der russlanddeutschen Begegnungszentren verbunden.

Heinrich Martens, der erst am zweiten Konferenztag zu Wort kam, versuchte die Anwesenden davon zu überzeugen, dass die Begegnungszentren heute der beste Platz seien, um sich mit der deutschen Sprache und der deutschen Kultur zu befassen.

„Man kann zweifelsohne die russische Regierung kritisieren, ein eigenes autonomes Gebiet oder ein Gesetz zur Rehabilitierung des deutschen Volkes verlangen, ohne des Deutschen mächtig zu sein. Aber keine Rehabilitierung kann den eigenen Anteil bei der Rehabilitierung ersetzen. Die ethnische Komponente und die deutschen Sprache dürfen nicht verschwinden“, sagte der Vorsitzende des IVdK.

Zum Schluss schlug Martens der Führung der FNKA ein konkretes Programm zur Zusammenarbeit im Interesse der ethnisch-kulturellen Wiedergeburt der Russlanddeutschen vor, wurde dabei aber brüsk vom Präsidenten der FNKA Viktor Baumgärtner zurückgewiesen: „Hier ist nicht der Platz, um für die eigene Organisation Werbung zu machen.“

Dies war sicherlich auch der Höhepunkt der Veranstaltung, jede Seite beharrte wie bisher auf ihrer Meinung. Fazit: Die wissenschaftlich-praktische Konferenz konnte das Grundproblem erneut nicht lösen […].

„Die Frage ist nicht, welche Zukunft die Russlanddeutschen haben. Die Frage ist, ob sie überhaupt eine haben…“ Dieser Satz des Vertreters der Deutschen Botschaft in Moskau, Guido Hildner, ausgesprochen zu Beginn der Konferenz, blieb bis zum Schluss ohne Antwort.

Quelle: Сергей Косяков: «Когда в товарищах согласья нет…»,
Sergej Kosjakov: „Kogda v tovariscach soglas’ja net…“,
Moskovskaja Nemeckaja Gazeta vom 12. September 2008;
Übersetzung: Norbert Krallemann
 
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