Von der Praktikantin zur Mitarbeiterin
Die Jungjournalistin Galina Widrich ist für ‚Ihre Zeitung’ unterwegs
Galina Widrich Foto: Olga Sasuchina
Asowo, im Dezember 2007 - Im deutschen-nationalen Landkreis Asowo südwestlich der sibirischen Stadt Omsk arbeitet Galina Widrich beim Kreisblatt „Ihre Zeitung“. Die 22-Jährige verfasst Artikel in deutscher Sprache über das Leben ihrer Landesleute. Und sie organisiert einen Geschichtskurs für junge Leute in Asowo. Demnächst reist sie nach Deutschland – zum zweiten Mal -, um ihr Studium fortzusetzen.
Als Russlanddeutscher wurde Galina die Nähe zur deutschen Sprache und Kultur in die Wiege gelegt. Das war ihren Eltern wichtig. Heute schreibt die junge Frau ihre Artikel in deutscher Sprache, organisiert Projekte mit der deutschen Minderheit und will demnächst ihre Ausbildung in Berlin fortsetzen. Die Blondine mit den blauen Augen bevorzugt bunte Kleidung und Schmuck im westlichen Stil, trägt einen jener in Deutschland so beliebten Rucksäcke und benutzt selbst in ihrer Muttersprache Russisch gerne das eine oder andere deutsche Wort. Obwohl sie nicht zweisprachig aufgewachsen ist, beherrscht sie die deutsche Sprache vielleicht besser als manch deutsche Schüler.
Vor einem Jahr erhielt sie das Angebot, bei der Lokalzeitung im Deutsch-Nationalen Landkreis Asowo ein Praktikum zu absolvieren. Einen so interessanten Vorschlag konnte die wissbegierige junge Frau nicht ablehnen. Ihr erster Schreibversuch, und sofort auf Deutsch. Nach viermonatigem Praktikum wurde Galina freie Mitarbeiterin bei dem Wochenblatt. „Ihre Zeitung“ hat eine deutschsprachige Seite, die von Medienassistenten des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) zusammen gestellt wird.
„Die deutschen Muttersprachler kamen mit mangelhaften Russischkenntnissen in die Redaktion. Das war das Grundproblem“, erzählt Galina. Sie hätten damit gerechnet, dass im Landkreis Asowo üblicherweise Deutsch gesprochen werde. So sei es aber nicht. „Als Russlanddeutsche kann ich leichter die richtigen Themen in Asowo finden. Außerdem haben die Einheimischen zu mir mehr Vertrauen. Sie wissen, dass ich zu ihnen gehöre und ihre Sprache spreche“, sagt Galina.
Galina Widrichs Familie lebt in Asowo. Ihre Eltern hatten nie vor, als Spätaussiedler nach Deutschland zu gehen. Und Galina will ihre Eltern auch nicht zu diesem Schritt drängen. Deswegen sucht die junge Russlanddeutsche ihren eigenen Weg ins Land ihrer Vorfahren, auch ohne als Spätaussiedlerin anerkannt zu werden. Im vorigen Jahr hat sie ein Semester an der hessischen Universität Kassel verbracht und Germanistik studiert. Für Galina war der Deutschlandaufenthalt ein Schlüsselerlebnis. Nun will sie im Herbst 2008 ein Aufbaustudium beginnen. Das Studium und das Studentenleben in Deutschland erscheinen ihr ganz anders als in Russland. „An den deutschen Universitäten ist alles freier und lustiger“, meint sie. Von großer Bedeutung sei die praktische Orientierung während des Studiums, die in den russischen Hochschulen noch nicht so entwickelt sei.
Galina Widrich gehört zur jungen Elite der Russlanddeutschen. Sie ist bildungsbeflissen und sozial engagiert. Für sie ist nicht allein die Tatsache wichtig, nach Deutschland zu ziehen. Doch eine berufliche Karriere in Deutschland zu machen, das schwebt ihr vor. Ihr gehe es nicht darum, als Spätaussiedlerin einen deutschen Pass zu bekommen und dann von staatlicher Hilfe zu leben. „Als ich in Deutschland ein Semester studiert habe, betonte ich immer, dass ich keine Spätaussiedlerin, sondern eine Austauschstudentin bin“, sagt Galina.
Langsam wird ihr klar, dass sie vielleicht das letzte Jahr in Russland verbringt. Sie will die Zeit nutzen und macht ein Projekt mit Jugendlichen in Asowo. Das Projekt wird durch das Theodor-Heuss-Kolleg der Robert Bosch Stiftung gefördert. Galina organisiert eine Reihe von Seminaren für Schüler im Landkreis Asowo, die die Geschichte ihrer Familie erforschen. In Asowo leben nicht nur Russlanddeutsche. Der Landkreis ist multikulturell. Dort fühlen sich Kasachen, Ukrainer, Tataren und Russen heimisch. Galina Widrich freut sich über die Teilnahme der Vertreter anderer Bevölkerungsgruppen an ihrem Projekt. Kenntnisse über die eigenen Vorfahren und über die eigene Vergangenheit können jedem helfen, die Zukunft aufzubauen. Sie versucht, die jungen Leute dabei zu unterstützen und bereitet sich so auch auf ihre eigene Zukunft in Deutschland vor. (Olga Sasuchina)