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Die Stimme einer neuen Generation

Zum literarischen Schaffen von Antonina Schneider-Stremjakowa
Die Stimme einer neuen Generation Das Altaigebiet heute
Foto: Tobias Zihn

Selbst Kritiker bescheinigen dem Historiker Lew Malinowski, dass er sich um die russlanddeutsche Bevölkerungsgruppe verdient gemacht hat. Unter größten Schwierigkeiten widmete er sich der Geschichte der Deutschen in Sibirien – eigentlich war er bis zum Ende der 1980er Jahre der einzige, der sich hauptberuflich mit dem ungeliebten Thema auseinandersetzen durfte. Noch heute, im Alter von 83 Jahren, verfolgt er das literarische Schaffen der Russlanddeutschen.

Von Lew Malinowski

Almaty, im November 2008 - Aufmerksamen Lesern russlanddeutscher Literatur ist es gewiss nicht entgangen: Die Memoiren vieler russlanddeutscher Autoren enden mit dem Jahr 1941. Das ist nicht verwunderlich, gehörten diese Autoren meist einer Generation an, für die die so genannte Arbeitsarmee die letzte Etappe war. Danach kam lange Zeit nichts. Die nachfolgende Generation beherrschte nicht mehr die deutsche Sprache und konnte ihre Erlebnisse aus der Kriegs- und Nachkriegszeit nicht zu Papier bringen. Nun gibt es einen ersten Hoffnungsschimmer: Antonina Schneider-Stremjakowa hat ihre Memoiren und Erzählungen aus dem Leben der Nachkriegsgeneration veröffentlicht.

Anziehend und wertvoll macht die Bücher ihre Aufrichtigkeit: Lebendig und frisch erzählt Antonina Schneider über ihre Kindheit in einem Steppendorf im Altai, über das harte Leben der verbannten Wolga-Siedler, den Berufswechsel und den Umzug in die - für damalige Verhältnisse - Großstadt Barnaul.

Anrührend wird das Schicksal der Mutter beschrieben, die aus der Zwangsarbeit in einer Sodafabrik floh und, nachdem der Vater in der Trudarmee zu Tode gekommen war, einen Mann heiratete, den die nun vaterlos gewordenen Zwillinge „Papa Leo“ nannten. Die Steppe und die aus Stroh und Lehm gebauten Häuschen, die kaum das  Steppengras überragten, wurden zu ihrer kleinen Heimat anstelle von Mariental an der Wolga, von dem es höchstens noch Familiengeschichten und ein paar übrig gebliebene Gegenstände gab.

Die Autorin konnte die Mittelschule abschließen und Lehrerin werden. Nach Problemen mit dem Lehrerkollegium landete sie schließlich für 23 Jahre in der Schule einer Strafkolonie. Es folgten eine gescheiterte Ehe, seelische Erschütterungen, Sorgen um das Schicksal der Kinder und schließlich die Emigration nach Deutschland. Ihre kleine Heimat aber ist immer dort geblieben, in dem kleinen Dorf in der Steppe.

Typisch ist nicht nur die beschriebene Armut des damaligen Lebens, sondern auch die Isolation in der Steppe der Altairegion. Aus ihrem deutschen Dialekt wechselte die Familie ins Ukrainische, das alle Nachbarn um sie herum sprachen, da im Rodinskij Rayon schon seit jeher ukrainische Übersiedler lebten. In der Schule und in der Stadt kam dann die russische Sprache hinzu. Die in der Nähe gelegenen deutschen Dörfer Gljaden und Ananjewka spielten für sie überhaupt keine Rolle: Obwohl nur 20 bis 30 Kilometer entfernt, machte der ungewohnte und unverständliche Dialekt der dort lebenden Mennoniten diese zu völlig fremden Menschen, überhaupt nicht zu vergleichen mit den ukrainischen Nachbarn.

Bemerkenswert ist, dass Antonina Schneider erstmals die typische Sprache der damaligen Dorfbewohner und der Bewohner von Barnaul wiedergibt. Hier macht sich auch die philologische Ausbildung bezahlt, die sie im Fernstudium am Pädagogischen Institut genossen hat. Ihre Memoiren und Erzählungen zeichnen sich insgesamt durch eine klare und kraftvolle Sprache aus.

Ihre Bücher sind damit nicht nur Erinnerungen an die Geschichte der Russlanddeutschen, sondern gehören gleichermaßen zur russischen Literatur des Altai. Zum ersten Mal wird hier der Alltag deutscher Übersiedler im Barnaul der Nachkriegszeit beschrieben, deren Leben in den halb unterirdischen Behausungen nahe den Betrieben, die sie aufbauten; in von Verbannung und Arbeitsarmee geprägten nationalen Wohnvierteln. Ebenso bemerkenswert ist, wie die Autorin auf die Beziehungen zwischen Angehörigen verschiedener Nationalitäten im Altai eingeht.

Hier gab es keinerlei Anfeindungen. Und wenn doch einmal Russlanddeutsche mit den Faschisten in Deutschland gleichgesetzt wurden, wird das als Einzelfall dargestellt und darauf zurückgeführt, dass die Existenz und das Leben von Russlanddeutschen von staatlicher Seite totgeschwiegen wurden. Das Entscheidende aber war die völlige Isolation: das Fehlen von Zeitungen, der fehlende Umgang mit Schriftstellern und deutschen Intellektuellen jener Zeit, auch noch nach 1956.

Beim Lesen beeindruckt außerdem die außerordentliche Beobachtungsgabe der Autorin, nicht nur in Bezug auf Details im Alltag, sondern auch in Bezug auf Erlebnisse von Personen. Hier erhalten die Erinnerungen und Erzählungen eine typisch weibliche Färbung. Das betrifft auch die Beschreibung der winterlichen Steppe und der Schönheit der Steppe in der Altairegion insgesamt, die sich nicht allen und nicht sofort erschließt. Man muss wohl von Kindheit hier gelebt haben, um die Natur so beschreiben zu können. […]

Quelle: Лев Малиновский: „Голос следующего поколения“,
Lev Malinovskij: „Golos sledujuscego pokolenija“,
http://deutsche-allgemeine-zeitung.de/rus/
1. November 2008; Übersetzung: Norbert Krallemann
 
Ihre Meinung

Swetlana, 27.07.2012 12:33:59:

Ganz wichtig, die in Gljaden lebenden Menschen waren keine Mennoniten, wie im Artikel geschrieben. Es ist schlichtweg falsch. Bin dort geboren und aufgewachsen.

marcus, 03.12.2008 19:06:13:

In der ehemal. UDSSR bestand eine politische Assimilierungspolitik in richtung russisch (bei der deutschen Sprache durch ein gewisses Stigma besonders). Es ist paradox, dass heute russischsprachige Minderheiten z.B im Baltikum oder Kasachstan jetzt in der Situation sind, sich selbst für den Erhalt ihrer Sprache u. Kultur einzusetzen. Ich denke, jede Sprache & jeder Dialekt sollten gefördert werden

Mariella, 02.12.2008 22:18:02:

Ich kann der These nich zustimmen, dass russlanddeutsche Literaten ihre Erzählungen mit dem Jahr 1941 enden ließen. Es gibt viel Litaratur auch über die Nachkriegszeit und spätere Jahre. Dass 1941 ein einschneidendes Erlebnis für viele Menschen war, ist nicht verwunderlich. Zur Sprache: Sowohl Mennoniten& andere Dialektsprecher können hochdeutsch verstehen und später natürl. auch russisch sprechen


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