Sichere Zahlen fehlen
"Sie müssen aufpassen, dass sie keinem Phantom hinterherlaufen",
schickt Christoph Bergner (CDU) gleich vorweg. Seit zwei Jahren ist er
der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung. Er hat in letzter Zeit
mehrere Geschichten über rückkehrende Spätaussiedler in der Zeitung
gelesen und im Fernsehen gesehen. "Das grenzt an ein Ärgernis", findet
er. "Das sind Einzelfälle. Schließlich leben hier rund 2,3 Millionen
Spätaussiedler, so viele Einwohner hat der Freistaat Thüringen." Es sei
ein "völlig natürliches Phänomen", sagt er, dass einige wieder
zurückgehen. Auch Jakob Fischer, Sprecher der Landsmannschaft der
Deutschen aus Russland, sagt, er sei dauernd im Bundesgebiet unterwegs,
er kenne keinen einzigen, der zurückgehe. Und Lilli Selski, die für das
Bezirksamt Berlin-Reinickendorf Spätaussiedler berät, erklärt: "In den
letzten 15 Jahren war es eine einzige Familie."
Sichere Zahlen gibt es tatsächlich nicht. Die Wege von Spätaussiedlern
in Deutschland sind schwer nachvollziehbar. "Es sind schließlich
deutsche Staatsbürger", sagt Christoph Bergner, "und als solche
natürlich frei, ihren Lebensmittelpunkt zu suchen." Das ist ihm
wichtig. Rund 100.000, sagt er, seien im vergangenen Jahr aus
Deutschland weggegangen - aber eher Richtung Kanada oder Spanien, die
wenigsten seien in ihre erste Heimat zurück.
Strudel, Kräppel, Griebenschmalz
Seit 1990 wanderten etwa zweieinhalb Millionen Spätaussiedler nach
Deutschland ein, so die Zahlen vom Nürnberger Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge. Spätaussiedler, das sind Angehörige von deutschen
Minderheiten in ehemaligen Sowjetrepubliken, Polen, Rumänien. Schon
seit dem zwölften Jahrhundert leben manche Familien dort. Die
gesetzliche "Kriegsfolgenschicksalsvermutung" erlaubte ihnen nach dem
Zusammenbruch des Ostblocks, nach Deutschland zu kommen.
"Sie haben eine höhere Erwartungshaltung als die anderen Immigranten",
stellt Bettina Beusing fest. Sie berät für die Bottroper Caritas
Einwanderer und Spätaussiedler. "Sie sind mit der deutschen Kultur ganz
anders verbunden: Sie ist Teil ihrer Familiengeschichte, sie
identifizieren sich." Was bei Valentina Aristov der Krauteintopf der
Großeltern war, waren bei Lilli Selski Weihnachtslieder, bei anderen
kamen Strudel, Kräppel und Griebenschmalz auf den Tisch.
Es sind Gerichte aus längst vergangenen Zeiten. Fast so alt wie das
Schwäbisch, das sie sprechen. Rezepte wie Vokabular wurden von
Generation zu Generation überliefert, zusammen mit Geschichten aus der
alten deutschen Heimat.
Das Land, das es nicht mehr gibt
Es sind jene Erzählungen, aus denen sich die Deutschen in der
sowjetischen Diaspora ihr Bild der Bundesrepublik bastelten. Das Bild
eines Landes, das es nicht mehr gibt. "Manche hatten einfach eine
falsche Vorstellung von Deutschland", sagt Bettina Beusing. Sie hat
festgestellt, dass seit einigen Monaten mehr Familien zu ihr kommen,
die darüber nachdenken, nach Kasachstan, Russland oder die Ukraine
zurückzuziehen, als noch vor ein paar Jahren. "Bei anderen ist der
Ehepartner gestorben, und allein wollen sie nicht in Deutschland
bleiben. Und wieder andere, vor allem die Jüngeren, leiden unter der
Entfernung zu ihren Familien."
Dass die Rückkehr in die Heimat unter Spätaussiedlern aus der
ehemaligen Sowjetunion seit zwei Jahren zum immer wiederkehrenden Thema
wurde, liegt unter anderem auch an Russland selbst. Die Regierung macht
Werbung, in Magazinen, in Zeitungen, im Fernsehen. Russland sucht
händeringend nach Immigranten, nach Rückkehrern, die Russisch sprechen.
Ihnen fehlen die Arbeitskräfte, der Nachwuchs. "Klar", sagt der
Aussiedlerbeauftragte Christoph Bergner. "Dort sieht es in Sachen
Demografie problematischer aus als bei uns."
Boris Witte (Name geändert) kennt einige, die nach Kaliningrad
auswandern wollen. Er ist 43, diplomierter Tierarzt, wie seine Frau.
"Meine Großmutter hat nur Deutsch mit mir geredet, als ich klein war",
erzählt er. Sein Deutsch ist eine kuriose Mischung aus ausgefeilten
Redewendungen und schwerem Akzent. Boris Wittes Familie kommt aus
Karlsruhe, das in der Nähe von kleinen Gemeinden liegt, die Kochheim
heißen oder Darmstadt. Es sind Dörfer in Kasachstan, einst gegründet
von deutschen Minderheiten.
Frust in der Fremde
Die Großmutter zog später in die Ukraine, dort wuchs auch Boris Witte auf. Mitte der 1990er-Jahre beschloss die gesamte Großfamilie, nach
Deutschland zu ziehen, ab in die alte Heimat. Nach zwei Jahren waren
alle da. Sie sind geblieben. Aber Boris und seine russische Frau Irina
(Name geändert) tun sich schwer. Hier in Berlin geht seine Frau putzen,
er selbst hat schon Alte und Pferde gepflegt, Autos repariert, eine
Ausbildung zum Fitnesstrainer hinter sich.
Momentan ist er arbeitslos, sein Meniskus ist gerissen, er geht an Krücken. Ihre Diplome wurden nicht anerkannt. Der Frust wurde groß. Sie
beschlossen, wieder zurückzugehen, die beiden Töchter im Gepäck, die
eine ein Jahr alt, die andere 13, mitten in der Pubertät.
Familientrennungen
Tierärzte, die putzen gehen, Einser-Studenten wie Valentina Aristov,
die nicht weiter studieren dürfen, keinen Job bekommen: "Das ist eines
von zwei zentralen Problemen", sagt Bergner. Seinen Angaben nach sind
75 bis 80 Prozent der Spätaussiedler in Deutschland "deutlich unter
ihrer Qualifikation" angestellt, denn formale sowjetische Abschlüsse
werden nicht anerkannt, es ist kompliziert, EU-Normen stehen im Weg.
"Da ist viel versäumt worden", sagt er, "ein wunder Punkt." Das andere Problem: Familien mit Heimweh; Kinder, die nicht nachkommen dürfen,
weil sie nicht sofort mit eingewandert sind; junge Menschen, die so
perfekt Deutsch sprechen, dass sie nicht mehr nachweisen können, ob sie
die Sprachkenntnisse in der Familie oder im Germanistikstudium gelernt
haben. Und somit nicht auf dem Spätaussiedlerticket einreisen dürfen.
"Wir haben es zum Teil mit sehr schwierigen Familientrennungen zu tun",
sagt Christoph Bergner.
Eine Organisation, die Familien in diesen komplizierten Situationen
berät, hilft, die deutsche Bürokratie zu durchdringen, ist
"Heimatgarten". Einst kümmerte sich der Verein vor allem um
Flüchtlinge. Jetzt haben sie in Karlsruhe eine Filiale aufgemacht, die
sich auf so genannte rückkehrwillige Spätaussiedler spezialisiert hat.
Es ist kein Zufall, dass die Niederlassung ausgerechnet in
Baden-Württemberg liegt. Das Bundesland ist das einzige, das Rückkehrer
finanziell unterstützt. Nicht alle sind davon begeistert. "Ich habe
mich davon distanziert", sagt Christoph Bergner. "Ich halte es für ein
falsches Signal - das macht doch den Eindruck, als ob sie nicht
erwünscht seien."
Zwischen Himmel und Erde
Auch die Aristows haben so Geld für ihr Rückflugticket bekommen. Sie
haben fast nichts mehr. Momentan wohnen Valentina, Kirill und Jewgeni
bei Valentinas Mutter, ihre Sachen sind schon unterwegs nach Sibirien,
die Möbel mussten sie verkaufen. Es wäre zu teuer gewesen, sie zu
schicken. "Ich lebte hier irgendwo zwischen Himmel und Erde", sagt
Valentina Aristov. Sie wird ihre Freunde vermissen, aber zumindest wird
sie weiter studieren können. Valentina fährt mit gemischten Gefühlen
nach Krasnojarsk. Der kleine Kirill denkt noch immer, es sei nur eine
Ferienreise.
Die Wittes hielten es 40 Tage aus in Südrussland. Der versprochene Job
löste sich in Luft auf, eine Wohnung gab es auch nicht. "Und wegen
jeder Kleinigkeit musste man die Leute schmieren", sagt Boris Witte.
Soviel Geld hatten sie nicht. Das ist acht Jahre her. Die große Tochter
studiert inzwischen Biologie. "Wenn sie hier nichts kriegt", sagt Boris
Witte, "dann geht sie sicher nach Russland." Er hofft es, insgeheim.
Dann würde er mitgehen, mit dem Rest der Familie. Und das Auswandern in
die Heimat ein zweites Mal versuchen.
Andreas, 17.10.2012 14:08:23:
hallo ich bin russlandeutsche mit deutschen pass in cccp geboren mit 9 jahren nach deutschland kekomen wen ich möcklichkeit hete dan were ich nach RUSSLAND AUSWANDERN
Abuelita, 03.01.2010 23:44:50:
Hier in Suedamerika kamen viele von ihnen. Warum es ihnen nicht gefaellt in Deutschland ? Diese Frage wird unterschiedlich beantwortet. Doch hier sind sie als Deutsche willkommen und geachtet
falkee, 01.11.2009 09:48:30:
ich find es schade wenn russlandeutsche deutschland wieder verlassen. finde mann sollte mehr für ihr integrität machen und ihnen eine bessere schulische ausbildung ermöglichen. hab nur nette kennengelernt die fleissieg wahren und sich bemüht haben.