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„Wozu schon wieder neuer Streit?“

Appell aus Astrachan an russlanddeutsche Organisationen
„Wozu schon wieder neuer Streit?“

Viktor Schreider ruft die russlanddeutschen Organisationen zur Umkehr auf: „Bei all dem Streit merkt keiner, dass wir nur Figuren in einem Spiel sind.“ In einem sehr persönlich gehaltenen Appell gesteht der Vorsitzende der deutschen Kulturautonomie ‚Einheit’ im Verwaltungsgebiet Astrachan und Vizepräsident der Föderalen Kulturautonomie der Russlanddeutschen auch eigene Fehler ein.

Astrachan, im Januar 2008 – [...] Wenn ich mit jungen Leuten zusammen bin, fällt es mir nicht leicht zu erklären, warum es innerhalb der Organisationsstruktur der Russlanddeutschen so sehr an gegenseitiger Akzeptanz mangelt. Von Einheit spreche ich schon gar nicht. Es ist schwer nachvollziehbar, dass Russland auf internationaler Ebene bei allen Differenzen und Meinungsverschiedenheiten mit allen Ländern zusammenarbeitet und die Russlanddeutschen untereinander dazu nicht in der Lage sind. Schließlich bedeutet das ja nicht, die Position des Anderen einzunehmen und seine eigenen Prinzipien aufzugeben. [...] Ich bin ganz und gar nicht dafür, alle Handlungen der Anderen zu entschuldigen, aber ich schlage vor, einige Gegebenheiten zu bedenken.

Heinrich Martens [Vorsitzender des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur, die Red.] ist sicher der Meinung, dass die meisten seiner Probleme daher rühren, dass Viktor Baumgärtner Präsident der Föderalen Kulturautonomie ist. Wenn es so wäre, ließe sich das leicht lösen. Aber selbst wenn Martens Präsident der Föderalen Kulturautonomie werden würde und Baumgärtner kein „Problem“ mehr wäre, würde sich im Grunde genommen nichts ändern. Seinen Platz oder andere Plätze in anderen Organisationen würden wieder Menschen einnehmen, die ebenso denken wie er. Ob sie genau so effektiv wären, ist eine andere Frage, aber sie wären da.

Das Gleiche gilt natürlich auch für den umgekehrten Fall. Wenn Baumgärtner oder einer seiner Vertrauten Vorsitzender des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur (IVDK) werden würde und Martens nicht mehr als „Problem“ präsent wäre, änderte das nichts an der Gesamtsituation. Es gäbe und es gibt Andere, die wie Martens denken und handeln.

Auch wenn wir die eine oder andere Person nicht mögen, müssen wir alle lernen, auch mit Menschen zusammenzuarbeiten, die zu bestimmten Dingen eine andere Meinung haben. Wenn wir das begreifen und praktizieren, können wir wesentlich effektiver sein, wenn es um unsere Grundanliegen geht.

In diesem Zusammenhang möchte ich vielleicht noch folgendes sagen: Als ich noch völlig unerfahren in den russlanddeutschen Organisationen war und die Kräfteverhältnisse nicht kannte, war es recht einfach, mich mit der einen oder anderen Losung für eine bestimmte Maßnahme zu begeistern. Und das wurde auch ausgenutzt. Ich war eine kleine Figur in einem mir unbekannten Spiel, und es war sehr einfach, mich zu manipulieren. Mit großem Eifer stürzte ich mich auf Jeden, auf den man mit dem Finger zeigte, manchmal genügte schon die kleinste Andeutung. Gierig griff ich jede Anschuldigung auf und wollte noch mehr hören. Ich liebt das Kampfgetümmel, und ich verehrte starke Persönlichkeiten.

In der Rückschau stellt sich kein Gefühl innerer Befriedigung ein. Ich will mich auch nicht von jeglicher Verantwortung freisprechen. Auch ich habe durch das, was ich getan und gesagt habe, dazu beigetragen, dass sich die Gesamtsituation verschlechtert hat.

Worauf sollte man in erster Linie achten? In der Presse gibt es in letzter Zeit ernst zu nehmende Anzeichen dafür, dass wieder einmal eine Polemik hoch kocht, die den Rahmen des Normalen zu sprengen droht. So etwas haben wir schon des Öfteren erleben müssen. Immer hat es damit angefangen, dass die Probleme neu aufgearbeitet wurden: Irgendjemand legt klipp und klar seinen Standpunkt dar, ein Anderer sieht sich genötigt, seine Unzufriedenheit mit dem Gesagten zu äußern, und so beginnt dann erneut eine Schmutzkampagne mit gegenseitigen Anschuldigungen und Verleumdungen. Die Älteren von uns kennen das nur zu gut.

Ich möchte alle Beteiligten, ohne die Einheit oder ähnliche Ziele einzufordern, nur dazu aufrufen, sich nicht an solchen Kampagnen zu beteiligen und wenigsten in der Presse keine Lügen oder Anschuldigungen zu verbreiten. Ich plädiere dafür, bei der Aktualisierung von Problemstellungen nach Formen zu suchen, durch die die andere Seite nicht beleidigt wird. Auch die Ideen der anderen Seite haben ihre Daseinsberechtigung. Wozu schon wieder neuer Streit? Das führt uns doch alle gemeinsam nur in die Sackgasse!

Bei all dem Streit merkt keiner, dass wir nur Figuren in einem Spiel sind und uns mit allen politischen und wirtschaftlichen Mitteln bis zur völligen Vernichtung bekämpfen. Dabei ist überhaupt nicht abzusehen, wer wen besiegt und wer letztendlich der Verlierer ist. Wie weit wollen wir bei der Bekämpfung unserer „Gegner“ eigentlich gehen?

Es ist für jeden Einzelnen schwer, den einmal eingeschlagenen Weg aus eigener Kraft wieder zu verlassen. Die letzten Handlungen erfolgen dann zwangsläufig. Und was die Letzten dann tun werden, weiß Gott allein.

Noch ist es möglich, relativ einfach dem Ganzen Einhalt zu gebieten. Wir müssen zusammen stark sein, und die Leute werden dann auch wieder mehr Vertrauen zu uns haben. [...]

Quelle: Шрейдер В.В.: „Проблемы россйских немцев“;
Srejder V. V.: „Problemy rossijskich nemcev“;
http://www.rdinfo.ru/article.php?mode=view&own_menu_id=36122
Stand: 10. Januar 2008, Übersetzung: Norbert Krallemann

 
Mehr zum Thema bei ORNIS
- siehe auch: "Besprochen, aber nicht beigelegt"
 
Ihre Meinung

Martin, 24.02.2008 20:40:32:

Ich stimme der Aussage des Artikels zu. Es ist wichtig, Respekt voreinander zu haben und verschiedene Meinungen zu akzeptieren. Grundanliegen sollten nicht aufs Spiel gesetzt werden.


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