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"So ein Garten ist eine Aufgabe" - Was Landarbeit mit Integration zu tun hat

Serie Teil 3

Berlin (ORNIS) - Mit einer vierteiligen Serie gibt ORNIS einen Einblick in den Alltag von Aussiedlern, die aus Russland oder Kasachstan nach Deutschland kommen. Der dritte Teil berichtet von einem Projekt der Caritas, das Aussiedlern hilft, mit einem eigenen Garten leichter Zugang zu den Einheimischen zu finden.


Das Dorf Jawlinka zählt achttausend Einwohner und liegt südlich der Großstadt Petropawlowsk in Kasachstan. Vor drei Jahren lebten Anna und Viktor Huck noch in Jawlinka. Sie bewirtschafteten einen großen Hof mit mehreren Stallungen, einer Sommerküche, weiteren Nebengebäuden und einer eigenen Sauna. Zwei Kühe lieferten die Milch, und ein paar Schweine deckten den Fleischbedarf der ehedem sechsköpfigen Familie. Ihr Stolz aber war der Garten, der sich über zwei Seiten des Hauses erstreckte und der Viktor in der Erinnerung "so groß wie ein Fußballplatz" erscheint. Jedenfalls groß genug, um sie übers Jahr mit Obst, Gemüse und Kartoffeln zu versorgen. Nach der Ernte waren die Vorratsräume stets gut gefüllt und die Familie für den Winter gewappnet. Jahre, Jahrzehnte gingen so ins Land, und der Rhythmus der Natur bestimmte auch den Lebensrhythmus der Menschen. Dann verließen beide - bereits im Rentenalter - Jawlinka und folgten Kindern und Verwandtschaft nach Deutschland.

"Wir sind doch von der Erde geboren", sagt Viktor und blickt aus der sechsten Etage seiner Zweizimmerwohnung auf einen zementierten Innenhof, wo vier farbige Müllcontainer aufgereiht stehen. Anna und er leben inzwischen in Berlin - in einem Stadtteil namens Marzahn, der viel grauen Beton und wenig grüne Wiesen bietet. "Es war mir immer eine so große Freude, wenn die ersten Pflanzen kamen", sinniert Anna und erklärt, dass die jungen Setzlinge noch vor Ende der Kältezeit im geheizten Haus gezogen wurden, weil sie später nur wenige Wochen Zeit hatten, sich zu entwickeln, die Tomaten oft noch nach der Ernte reifen mussten, weil der Winter schon wieder vor der Tür stand. Wenn Anna von ihrem Garten in Jawlinka spricht, scheinen ihre Rückenschmerzen verflogen und die Trauer, die sie zuweilen befällt, für den Moment vergessen. Würden Anna und Viktor Huck nicht in Berlin sondern in Güstrow leben, wäre ihr sehnlichster Wunsch womöglich längst in Erfüllung gegangen.

Die Kleinstadt Güstrow zählt rund 35.000 Einwohner und liegt östlich der Landeshauptstadt Schwerin - fast in der Mitte von Mecklenburg-Vorpommern. In der ehemaligen Residenzstadt hat der Bildhauer Ernst Barlach viele Jahre seines Lebens und seiner Schaffenszeit verbracht, zu DDR-Zeiten hat die Kleinstadt in der mecklenburgischen Seenlandschaft Nahrungsmittel industriell produziert. Rund hundert Familien aus Russland und Kasachstan sind in den vergangenen Jahren nach Güstrow gezogen. Stadt und Landkreis bieten nicht gerade Arbeitsplätze in Fülle, allgemein ist die Arbeitslosigkeit hoch in dem Bundesland, und so sind auch viele russlanddeutsche Familien auf staatliche Hilfe angewiesen.

Der katholische Wohlfahrtsverband Caritas, der vor über hundert Jahren gegründet wurde und christliche Sozialarbeit leistet, hat vor sechs Jahren ein Projekt ins Leben gerufen, von dem auch eine Reihe russlanddeutscher Familien in Güstrow profitieren. Der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern hat verlassene und teils bereits verwilderte Kleingartensiedlungen übernommen und einzelne Parzellen an bedürftige Familien gegeben. In den achtziger Jahren waren in vielen Städten der damaligen DDR Kleingartenanlagen errichtet worden, in denen die Menschen ihre Freizeit verbrachten. So begehrt die Gärten damals bei der Bevölkerung waren, so schnell verebbte das Interesse nach der Wende, und manche Gärten verfielen. Niemand war darüber glücklich, am wenigsten jene Kleingärtner, die an ihren Parzellen und an ihrem der Gemeinschaft festhalten wollten.

Da traf es sich gut, dass sich Mitarbeiter der Caritas Gedanken darüber gemacht hatten, dass Aussiedler besonders häufig aus ländlichen Gebieten Russlands und Kasachstans kommen, Landarbeit ihr Leben bestimmt hat und sie diese Tätigkeiten in Deutschland missen würden, besonders wenn sie jetzt in Städten lebten. Als das Projekt 1996 in Schwerin begann, erhielt es den Namen CARIland. Die Mitarbeiter stießen bei den Kleingartenvereinen auf großes Entgegenkommen, da man Interesse daran hatte, dass das Land bald wieder verpachtet und bearbeitet würde. Im Jahr darauf wurde CARIland in der Stadt Neubrandenburg gestartet und schließlich 1999 in Güstrow.

"So ein Garten ist eine Aufgabe, kann dem Leben wieder Sinn und Inhalt geben und steigert damit das Selbstgefühl", sagt die Sozialarbeiterin Gisela Büsch über ihre Erfahrungen mit dem Projekt. Caritas pachtet das Land und erwirbt zudem die Hütte oder das Häuschen auf dem kleinen Grundstück. Zu den Kosten von knapp 1.500 Euro kommen dann noch die Betriebskosten für Pacht, Strom und Wasser von rund 300 Euro pro Jahr. Die Caritas, die ihre Arbeit zu mehr als der Hälfte aus Spenden betreibt, hat für diese Kosten Paten gesucht und gefunden; Personen mit einem besseren Einkommen, die einen Teil des Jahresbetrages übernehmen und dafür zu gemeinsamen Treffen, zu Grillabenden und Veranstaltungen der Kleingärtner eingeladen werden.

In Güstrow hat Alexander Warkentin eine kleine Parzelle bekommen mit einer Laube darauf, die schon ein wenig baufällig war, als er und seine Frau Lubow den Garten übernahmen. Im Frühjahr, Sommer, bis in den Herbst hinein vergeht kaum ein Tag, an dem die Beiden nicht zumindest einmal nach dem Rechten gesehen haben, meistens verbringen sie viel Zeit hier, oft den ganzen Tag, denn unter den anderen Kleingärtnern haben sie freundliche Menschen gefunden, die manchen Ratschlag gaben und für manchen Ratschlag dankbar waren. Verwunderlich fanden die Nachbarn anfangs schon, dass Alexander und Lubow ausschließlich Gemüse und Obst anbauten. Alexander meint, das Aroma seiner Tomaten und Gurken erinnere ihn immer wieder an ´daheim`, an Kasachstan - ein Geschmack, den man von keinem Supermarkt-Gemüse erwartet könne.

Auch wenn man Lubow und Alexander nicht näher kennt, hat man dennoch den Eindruck, dass das kleine Stückchen Land ihnen in einer vielfach noch fremden Umwelt Geborgenheit gibt, Rückhalt und Sicherheit. Caritas will mit dem Projekt CARIland vor allem erreichen, dass Aussiedler sich nicht von ihrer Umgebung isolieren, sondern sich in Gemeinschaften - etwa Kleingartenvereine - begeben. Der Nutzen von Gartenarbeit bedarf keiner weiteren Erläuterung, und viele Aussiedler, die wegen der Arbeitslosigkeit keinen geregelten Tagesverlauf haben, sehen sich so veranlasst, den Tag und damit womöglich ihren Alltag neu zu ordnen. Nicht zuletzt vermittelt gärtnerische Arbeit auch die Erfahrung von Erfolg, wenn etwa aus einem Setzling eine ausgewachsene Pflanze geworden ist, wenn eine kleine Ernte die Arbeit lohnt.

 
Links zum Thema
Caritas-Projekt "CARILand"

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