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Von Stefan Koch, Hannoversche Allgemeine Zeitung
„Ich appelliere an euren Pioniergeist. Nutzt die Chancen in eurer alten Heimat“, rief Nursultan Nasarbajew mit viel Pathos am Dienstag Hunderten seiner ehemaligen Landsleute zu. Der kasachische Staatspräsident ist diese Woche in Berlin zu Gast und kündigte eine „Informationskampagne“ in Deutschland und Russland an. Aus seinen eigentlichen Zielen machte er keinen Hehl: Um die hohen Zuwachsraten in der Industrie halten zu können, brauche das Land qualifizierte Arbeitskräfte.
Die bürokratischen Hürden sollen schon bald durch ein einfaches Einwanderungsprozedere ersetzt werden. Wie einst die russische Zarin Katharina will Nasarbajew gezielt um unternehmenshungrige Deutsche werben: „Deutsche Handwerker und Techniker hatten schon immer einen guten Ruf in Kasachstan. Sie sind uns willkommen“, sagt Nasarbajew. Mit Angela Merkel verhandelte er gestern daher auch über Zoll- und Investitionserleichterungen – wurde allerdings im Gegenzug von der Bundeskanzlerin auf diverse Menschenrechtsverstöße angesprochen.
Trotz des Krieges im nahe gelegenen Afghanistan und den Krisen im Kaukasus hat sich Kasachstan zum fünftgrößten Erdöllieferanten Deutschlands entwickelt. Eine neue Pipeline vom Kaspischen Meer direkt zum Mittelmeer sichert künftig den Transport des schwarzen Goldes jenseits der russischen Grenze – und der Verkauf von Eisenerzen in chinesische Boomregionen spült weitere Dollarmillionen in die Staatskassen. Sichtbares Zeichen des Wohlstands und Symbol der Unabhängigkeit ist die neue Hauptstadt Astana, die vor genau zehn Jahren inmitten der fast menschenleeren Steppe gegründet wurde.
Deutsche Baufirmen wie der niedersächsische Konzern Günter Papenburg haben sich längst einen Namen in der kasachischen Führungsschicht gemacht. „Kasachstan ist der wichtigste Markt für deutsche Unternehmen in Zentralasien“, bestätigte gestern auch Klaus Mangold, Vorsitzender des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft. Ob der Lockruf des Erdöls tatsächlich bei den ehemaligen Kasachen in Deutschland verfängt, ist allerdings fraglich: Bisher entschieden sich erst einige hundert Familien zur Rückkehr nach Zentralasien. Viele von ihnen bestätigen das Bild, das auch die Entwicklung in Russland prägt. Vom unverhofften Wohlstand profitieren in erster Linie Geschäftsleute, die über gute Verbindungen in die Bürokratie verfügen.
Der Mittelstand wächst zwar deutlich, doch die Masse der Bevölkerung lebt weit abgeschlagen von westlichen Standards. Nur zu einem Teil fließen die Petrodollar in den staatlichen Fonds, den Nasarbajew auch in Berlin hervorhebt. Dennoch gilt Kasachstan in Zentralasien als das Land, in dem es sich nach Ansicht politischer Beobachter am freiesten leben und arbeiten lässt. Dass Kasachstan heute der engste Partner der EU in Zentralasien ist, bestätigt der SPD-Politiker Gernot Erler. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt arbeitet seit Dezember an einem Strategiepapier für den Umgang mit den fünf zentralasiatischen Staaten im Süden der ehemaligen Sowjetunion, das beim europäischen Gipfel am 21./22. Juni verabschiedet werden soll.
Für Erler steht fest, dass Kasachstan eine Schlüsselrolle spielt. Und dass sich Nasarbajew um den Vorsitz bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) für 2009 bemühe, sei zu begrüßen: „Das Ringen um demokratische und rechtsstaatliche Strukturen ist offensichtlich.“ Im Westen sei zudem aufmerksam registriert worden, dass sich Nasarbajew um eine „Balance in der Außenpolitik“ bemühe: Kasachstan suche gleichermaßen gute Kontakte zu Russland, China, den USA und der EU. „Es gilt, diesen eigenständigen Weg zu unterstützen“, sagte Erler dieser Zeitung. Dass fast eine Million Menschen aus Kasachstan hierzulande leben, sei dabei eine gute Voraussetzung: Auch wenn die Aussiedler nicht wieder zurückkehrten, könnten sie eine Brücke zwischen den Ländern schlagen. (© ORNIS/Stefan Koch, 31. Januar 2007)
Der Beitrag von Stefan Koch
erschien am 31. Januar 2007
in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung
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