Aus der Traum
Von der Rückkehr in die Heimat
Zum Abschied bekommt sie kleine Geschenke von ihren Klassenkameraden ihrer Neu-Ulmer Grundschule. Eigentlich wollten ihre Eltern in Deutschland alt werden, als sie mit Vlada vor fünf Jahren aus Sibirien hierher kamen.
Mainz, im August 2008 - Der Traum ist vorbei. Vlada (8) wird mit ihrer Familie zurückgehen in das Dorf hinter dem Ural, und die Schulkinder haben dem traurigen Mädchen, das sie wohl nie wiedersehen werden, große bunte Buchstaben mit dem Satz "Gute Reise, Vlada!" an die Tafel geschrieben.
Vlada und ihre Familie sind nicht die einzigen Russlanddeutschen, die sich mit dem Umzug in die alte Heimat plagen. Statt einer Arbeit in ihren erlernten Berufen als Ökonom, Lehrer, oder Krankenschwester langt es für die Aussiedler oft nur zu Aushilfsarbeiten in Putzkolonnen, oder wie für Vladas Vater Alexander (34) zum Teilzeitfahrer beim Paketdienst.
Auch der diplomierte Lehrer Walter Ott hat es nie verwunden, dass er in Deutschland keine Arbeit in seinem Beruf gefunden hat. Vor zwölf Jahren kam der erfolgreiche Sportler und Lehrer von Kasachstan mit Familie und großen Illusionen nach Deutschland. Hier wollte er seinen Töchtern eine optimale Schulausbildung bieten, die er in den unruhigen Perestroika-Wendezeiten der damaligen Sowjetunion nicht garantiert sah.
"Arbeit und Wohlstand für alle" hörte man im 6.000 Kilometer entfernten Kasachstan von ausgewanderten Verwandten und Freunden. "Ich wollte nicht weg", sagt Natalie (48) "bin ihm aber als seine Ehefrau gefolgt". Die Familie verkauft in Kasachstan ihre Wohnung, der Rest passt in ein paar Koffer, mit denen sie nach Deutschland umsiedeln.
Aber trotz Diplom und perfekten Deutschkenntnissen wird Walter in seiner neuen Heimat nicht gebraucht. Walter Ott, damals 38, schreibt 60 Bewerbungen, trainiert erfolgreich junge Boxer, aber niemand will ihn im Schuldienst oder als fest angestellten Trainer im Verband. Seine Frau Natalie - in Kasachstan Chemielehrerin am Gymnasium - findet sich damit ab, ihre daheim erworbene gesellschaftliche Stellung hier aufzugeben. Sie nutzt ihre Grundkenntnisse in Chemie zu einer Ausbildung als MTA und findet eine Festanstellung in einem Krankenhauslabor.
Die Töchter Julia (27) und Lilia (22), zu Beginn ihres Aufenthaltes als Aussiedler misstrauisch beäugt, zeigen, dass sie genauso deutsch wie hier geborene Deutsche sein können, legen ihren Dialekt ab und werden zu Vorzeigeschülerinnen. Nur der Initiator der Ausreise - Walter - kämpft vergeblich gegen seine berufliche Erfolglosigkeit. Erst kurz vor seiner Abreise erzählt er seiner Familie, dass er nach Kasachstan zurück will. Auch beider Töchter Abitur und Julias erfolgreiches Studium können den enttäuschten Vater nicht davon abhalten, die Familie zu verlassen.
"Luxus will auch bezahlt sein", sagt er im Rückblick auf Deutschland und weiß, dass viele dem schönen Schein der Supermarktregale erliegen. Im Norden Kasachstans, in der Stadt Kokschetau, lebt er jetzt nach seiner Rückkehr in einem bescheidenen Plattenbau. Das und sein kleines Gehalt nimmt Walter in Kauf. Sein Luxus: ein Job als Sportlehrer in einer Berufsschule und die damit verbundene gesellschaftliche Anerkennung, dazu Mutter und Vater sowie andere Verwandte in der Nähe.
Auch Vladas Vater Alexander ist mit seiner Familie in Richtung seines Geburtsortes - einem kleinen Dorf hinter dem Ural in Sibirien - unterwegs. Auch er mit der Aussicht auf einen Job.
Wie werden sich Vlada und ihre Familie, wie kann sich Walter Ott in seiner neuen Heimat zurechtfinden? Es heißt, Tausende Spätaussiedler würden gerne zurück in ihre alte Heimat gehen, wenn sie nur die Mittel dazu hätten.
Der Film dokumentiert die letzten Tage Vladas und ihrer Familie in Deutschland, begleitet sie nach Sibirien, beobachtet den Neuanfang. Wie erlebt Walter Ott seine neue Heimat in Kasachstan in einer Zeit, da persönliches Glück nicht mehr hinter der nächsten Ecke zu finden ist? (ZDF)
Aus der Traum
Von der Rückkehr in die Heimat
Dokumentation von Walter Krieg
ZDF-Dokureihe "37°"
Dienstag, 12. August 2008, 22.15-22.45 Uhr