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„Sämtliche demokratische Normen verletzt“

Heftige Kritik am Führungsstil der Föderalen Kulturautonomie

Der Vorsitzende der Kulturautonomie der Russlanddeutschen in der Republik Komi, Oleg Strahler, sowie weitere Mitglieder des Koordinationsrates haben auf einer ordentlichen Tagung des Koordinationsrates Ende Juni 2007 in der Nähe von Moskau heftig die Leitung der Föderalen Kulturautonomie angegriffen und zum Zeichen ihres Protestes den Saal vor der Abstimmung verlassen. Sie werfen der Führung undemokratische Methoden vor und kritisieren insbesondere, dass sie sich nach wie vor gegen ein Zusammengehen mit anderen russlanddeutschen Organisationen sperre. Die „Moskauer Deutsche Zeitung“ veröffentlichte dazu in ihrer Juliausgabe ein Interview mit Oleg Strahler.

Welche Aufgaben hat die Föderale Kulturautonomie der Russlanddeutschen und womit sollte sie sich befassen?

Jede nationale Kulturautonomie sollte sich dem Erhalt der nationalen Identität sowie der Förderung von Sprache, Kultur und Traditionen widmen. Das sollten die Hauptaufgaben sein. Aber die tragische Geschichte der Russlanddeutschen im 20. Jahrhundert wirft ihre Schatten auch auf die Tätigkeit der Kulturautonomie. Die Führung der Föderalen Kulturautonomie greift Tendenzen der ehemaligen Wiedergeburt-Gesellschaft der Sowjetdeutschen auf, als noch unentwegt Forderungen nach politischer Rehabilitierung und Wiederherstellung der Eigenstaatlichkeit erhoben wurden.

Wie sehen Sie den politischen Aspekt in der Tätigkeit der Kulturautonomie?

Ich betrachte den politischen Aspekt dann als normal, wenn er konstruktiv ist und von dafür zuständigen Stellen ins Spiel gebracht wird. Was die Föderale Kulturautonomie betrifft, sieht das betreffende Gesetz nicht vor, dass sich diese Organisationen politisch betätigen. Für die Kulturautonomien ist die Zusammenarbeit mit dem Staat eine wichtige Angelegenheit, weil wir ohne staatliche Förderung unsere Probleme nicht lösen können. Die Probleme der Deutschen jedoch rühren daher, dass sie über das ganze Land verteilt sind. Daher müssen hier ganz spezifische Wege für den Erhalt der deutschen Kultur gefunden werden.

In Ermanglung eines vollwertigen sprachlichen Umfeldes bedeutet das, nach entsprechenden Möglichkeiten zu suchen, damit die Menschen zusammen kommen und sich in ihrer Muttersprache unterhalten können. Dafür gibt es die Kulturzentren und Begegnungsstätten, in denen die Deutschen sowohl ihre Sprache lernen als auch ihre traditionellen Feste feiern können. All das hat mit Erhalt der Identität zu tun.

Wo stehen Sie im Widerspruch zur Politik der Führung der Föderalen Kulturautonomie?

Die Föderale Kulturautonomie wird ihren Aufgaben nicht gerecht. In erster Linie werden sämtliche demokratischen Normen verletzt. Zum Beispiel muss einmal im Halbjahr der Rat, also das repräsentative Organ, zusammentreten und die Fragen erörtern, die mit der Erfüllung der in der Satzung festgeschriebenen Aufgaben zu tun haben. Seit 2005 wurde keine einzige Ratstagung einberufen. Dessen ungeachtet werden im Namen des Föderalen Koordinationsrats ständig irgendwelche Erklärungen veröffentlicht und Beschlüsse namens aller Russlanddeutschen gefasst, die an die zuständigen staatlichen Stellen weitergeleitet werden. Dabei ist der Föderale Koordinationsrat lediglich ein beratendes Gremium, dem einige Ratsmitglieder der Föderalen Kulturautonomie sowie des Rates der Vereinigung „Sodruschestwo“ angehören. Niemand hat ihnen das Recht gegeben, im Namen aller Russlanddeutschen aufzutreten.

Jeder Beschluss des Föderalen Koordinationsrates muss von den zuständigen Räten bestätigt werden, die als einzige legitimiert sind, Beschlüsse zu fassen. Niemand fragt uns nach unserer Meinung, aber in unserem Namen werden große Erklärungen abgegeben. Dabei ist die politische Position der Führung der Föderalen Kulturautonomie überhaupt nicht konstruktiv. Uns stört insbesondere, dass die Führung der Föderalen Kulturautonomie die politische Tätigkeit zu ihrer einzigen Aufgabe gemacht hat und den Erhalt und die Pflege von Kultur, Sprache und Traditionen zur Aufgaben der regionalen Kulturautonomien erklärt. Außerdem sagen sie, wir würden uns in primitiven Zentren nur mit unbedeutenden Projekten befassen und sehen auf unsere Arbeit nur verächtlich herab. Die Führung der Föderalen Kulturautonomie verfolgt nur ihre eigenen Interessen. Sie zeigt kein Interesse daran, die Organisation in angemessener Form zu führen und die eigentlichen Aufgaben zu lösen.

Was war der Grund für Ihre Demarche auf der Ratstagung?

Ich sah mich gezwungen, die Tagung zu verlassen, solange sich die Führung weigert, die Konsolidierung der russlanddeutschen Organisationen auf die Tagesordnung zu setzen. Unsere Führungskräfte sind der Meinung, dass es dazu keine Notwendigkeit gäbe, da die Russlanddeutschen bereits konsolidiert seien: „Es gibt die Föderale Kulturautonomie, es gibt die Vereinigung ‚Sodruschestwo’, und mehr brauchen wir nicht!“ Das ist ihre Haltung.

Worin besteht der Kern Ihrer Forderung?

Es geht um die Konsolidierung aller russlanddeutschen gesellschaftlichen Kräfte, einschließlich solcher wichtiger Organisationen wie zum Beispiel des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur (IVDK). Die Führung der Föderalen Kulturautonomie behauptet jedoch, die Tätigkeit des IVDK stehe im Widerspruch zu den Beschlüssen des Föderalen Koordinationsrates.

Wie haben die übrigen Ratsmitglieder reagiert?

Einige haben den Vorschlag sofort unterstützt, viele haben einfach nur geschwiegen. Aber nach der Tagung sind noch am selben Abend etliche Vorsitzende regionaler Kulturautonomien zu mir gekommen und haben mich in meiner Haltung bestärkt.

Warum haben gerade Sie die Initiative ergriffen?

Die Autonomie in der Republik Komi gehörte zu den ersten deutschen Kulturautonomien im Land und war Gründungsmitglied der Föderalen Kulturautonomie. In diesem Jahr begehen wir unser 10-jähriges Jubiläum. Daher ist uns das Schicksal der Föderalen Kulturautonomie nicht gleichgültig. Es ist schmerzlich und beschämend zugleich, wenn wir uns den heutigen Zustand der Kulturautonomie vor Augen halten. Ich hätte diesen Schritt schon viel eher tun müssen, aber seit 2005 war dies ja die erste Ratstagung.

Wie sehen Sie die Zukunft?

Ich gehe davon aus, dass weder der Präsident der Föderalen Kulturautonomie noch sein Vize freiwillig etwas ändern werden. Um Veränderungen herbeizuführen, brauchen wir eine Mehrheit im Föderationsrat, die unsere Vorschläge unterstützt. Im Moment haben wir aus unterschiedlichen Gründen noch nicht die Mehrheit. Einerseits beruht das noch auf einem gewissen Unverständnis, andererseits auf dem Druck, den die Föderale Kulturautonomie ausübt und der nichtlegitimen Politik, Filialen zu installieren, die überhaupt keine Kulturautonomien sind. So gibt es verschieden Organisationen, Begegnungsstätten und andere, die einfach einen Antrag stellen, woraufhin das Präsidium der Föderalen Kulturautonomie sie als Filiale der Föderalen Kulturautonomie bestätigt und ihre Vertreter in den Rat der Kulturautonomie aufnimmt. Heute stellen diese Vertreter bereits die Hälfte der Ratsmitglieder. Und das Präsidium baut dank ihrer Unterstützung seinen Einfluss im Rat weiter aus.

Was werden Sie tun?

Wir werden auf demokratischem Weg die Mehrheit im Rat suchen. Ich hoffe, dass uns das noch in diesem Jahr gelingt. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Zunächst wollen wir versuchen, dass die Fragen und Probleme diskutiert werden, die die Russlanddeutschen tatsächlich interessieren. Wenn die Führung ihr Verhalten nicht ändert, dann bleibt nur noch, sie abzulösen.

Quelle: Kirill Korjakin: „Nam ne bezrazlicna sud’ba FNKA“,
Moskovskaja Nemeckaja Gazeta Nr. 13/2007, S. 8;
Übersetzung: Norbert Krallemann


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