Stabilität auf tönernen Füßen
Das kasachische Wirtschaftswunder gilt längst nicht für alle
Berlin (ORNIS) - Kasachstan hat Konjunktur – beneidenswerte Zuwachszahlen, steigender Lebensstandard. Die Regierung bemüht sich um ausländische Investoren und bietet dafür politische Stabilität. Doch genaueres Hinsehen lohnt sich: Beim ersten ‚Deutschen Investitionsforum in Kasachstan’ in Astana wurden auch die Problemzonen der kasachischen Gegenwart nicht ausgespart. (Teil 2 von 2)
Juri Wegelin ist unauffindbar. Im August sollte ein Gericht im Almaty das Urteil sprechen, doch wenige Tage zuvor verschwand der Unternehmer. Jetzt fahndet die Staatsanwaltschaft. Anfang der neunziger Jahre war Wegelin als Aussiedler nach Deutschland gekommen und 1998 aus Hamburg mit deutschem Pass nach Kasachstan zurückgekehrt. Seine Firma ‚Gold Product’ betrieb Wein-, Obst- und Gemüseanbau. Als die Finanzpolizei dem Unternehmer Steuerhinterziehung vorwarf und die Behörden ihm Weinpanscherei anlasteten, wurde es gefährlich für den Deutschen. Die Firma stand vor dem Aus, ihr Inhaber musste mit Gefängnis rechnen.
Die „’Deutsch-Kasachstanische Assoziation der Unternehmer’ (DKAU) vertritt in Almaty Geschäftsleute aus Kasachstan und Deutschland, die in dem mittelasiatischen Land tätig sind. Nach Ansicht ihres Geschäftsführers Alexander Schröder gibt es keine Beweise für ein Verschulden des ‚Gold Product’-Firmenchefs. Mit dem Fall Wegelin beschäftigte sich dieser Tage auch das ‚Deutsche Investitionsforum in Kasachstan’, das hundert Unternehmensvertreter zusammenbrachte, um über Kooperation und Investition zu beraten. Ein Novum, meint Schröder von der DKAU, dass ein Forum dieser Art, an dem auch hochrangige Regierungsvertreter teilnahmen, Probleme und Hindernisse offen ansprach.
Dass staatliche Gerichte in Kasachstan kaum Rechtsschutz bieten, darauf hat kürzlich der Investitionsexperte Richard Happ, Rechtsanwalt aus Hamburg, in einem Gespräch mit der in Almaty erscheinenden ‚Deutschen Allgemeinen Zeitung’ hingewiesen. Zwar habe das Land in den vergangenen Jahren viel getan, um sich westlichen Rechtsnormen anzunähern, doch „weit verbreitete Korruption“ und Rechtsunsicherheit schaffen nach Happ erhebliche Probleme für Investoren.
Zudem scheint die politische Stabilität Kasachstans auf tönernen Füßen zu stehen. Zu diesem Ergebnis kommt die Ethnologin Andrea Schmitz, die fünf Jahre lang DAAD-Lektorin in Almaty war und heute für die Stiftung Wissenschaft und Politik tätig ist. Zwar gesteht sie Kasachstan zu, der „politisch avancierteste Staat in Zentralasien“ zu sein, sieht jedoch die Stabilität des Landes durch autoritäre Herrschaftsstrukturen behindert. Von einer demokratischen Konsolidierung sei Kasachstan noch weit entfernt, sagte die Wissenschaftlerin in einem Vortrag anlässlich der 15-jährigen Unabhängigkeit Kasachstans.
Zwar steigt das Pro-Kopf-Einkommen in diesem Jahr auf 3.700 Dollar, doch weiterhin lebt ein Fünftel der Bevölkerung unterhalb der so genannten Armutsgrenze, weiterhin herrscht extrem hohe Kindersterblichkeit – nicht zuletzt, weil von staatlicher Seite Gesundheit und Bildung kaum Beachtung geschenkt wird. Freiräume zur demokratischen Mitgestaltung, so Andrea Schmitz, gestatte die herrschende Elite nur, solange der eigene Machtanspruch nicht gefährdet ist. Die repressive Innenpolitik Kasachstans verwässere im Ausland das Bild des wirtschaftlich aufstrebenden Staates. (© ORNIS/us, 21. Oktober 2006)