Sie sind hier: Startseite
Die breite Öffentlichkeit der Russlanddeutschen hat mit Unverständnis und Sorge die Mitteilung über die Eröffnung eines Strafverfahrens gegen den Historiker Michail Suprun aus Archangelsk aufgenommen. Die Rechtsschutzorgane in Archangelsk sehen in seiner Arbeit an dem deutsch-russischen Projekt über Deutsche, die von Repressionen betroffen waren, ein Vergehen.
Ziel des Projekts ist die Herausgabe eines „Gedenkbuches“ über Opfer des Zweiten Weltkrieges bzw. der Vor- und Nachkriegszeit. Der Wissenschaftler wird beschuldigt, gesetzwidrig persönliche Daten weitergegeben zu haben, die er im Zuge seiner Forschungsarbeit erlangt hat. Bei Michail Suprun fand eine Durchsuchung statt, sein persönliches Archiv wurde beschlagnahmt, und eine Untersuchung wurde eingeleitet. Dadurch wurde die Arbeit an dem Projekt praktisch auf Eis gelegt.
Wir halten die Anschuldigungen der Rechtsschutzorgane in Archangelsk für unbegründet und die Handlungen für unüberlegt. Es handelt sich hier offensichtlich um einen willkürlichen Akt, der die wissenschaftliche Arbeit mit Quelldaten in Archiven behindert, die dazu dient, das Gedenken an Opfer des Stalinismus zu bewahren. Gleichzeitig sehen wir darin einen Verstoß gegen das „Gesetz der Russischen Föderation zur Rehabilitierung von Opfern politischer Verfolgung“ Nr. 1761-1 vom 18. 10. 1991, in dem die Veröffentlichung solcher Listen vorgesehen ist.
Die Russlanddeutschen gehören zu den von Repressionen betroffenen Völkern Russlands. Die Regierung der Russischen Föderation bemüht sich bereits seit fast 20 Jahren zusammen mit der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, das durch die Repressionen angegriffene ethnische Potenzial der deutschen Bevölkerung Russlands wiederherzustellen und zu fördern. Die Zusammenarbeit beider Staaten erfolgt im Rahmen der Deutsch-Russischen Regierungskommission für Angelegenheiten der Russlanddeutschen.
Zu den wichtigsten Aufgaben in der praktischen Arbeit im Interesse der Russlanddeutschen gehört die Wiederherstellung des historischen Gedächtnisses, was ohne wissenschaftliche Arbeit in Archiven, also auch mit Personalakten von Opfern des Stalinismus, undenkbar wäre. Viele solcher Projekte, darunter z. B. die Enzyklopädie „Die Deutschen Russlands“, stoßen auf breite Zustimmung und werden im Rahmen der Deutsch-Russischen Regierungskommission umgesetzt.
Ein faktisches Verbot der Arbeit von Wissenschaftlern in Archiven oder die Behinderung deren Arbeit würde unweigerlich zur Einstellung der Forschungsarbeiten führen und zöge schwere Folgen für das ethnische Selbstwertgefühl der Russlanddeutschen und der anderen von Repressionen betroffenen Völker nach sich. Nicht zuletzt würde die erfolgreiche deutsch-russische Zusammenarbeit infrage gestellt.
Heinrich Martens
|