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"Wir halten die Anschuldigungen für unbegründet"

Russlanddeutsche Organisationen legen Protest im Fall Suprun ein

Mehrere Wochen vergingen, bis sich die führenden russlanddeutsche Organisationen zu einer Stellungnahme zum Fall Michail Suprun durchringen konnten. In ihrem Appell fordern sie den sofortigen Stopp der Ermittlungen gegen den Historiker aus Archangelsk und rufen die deutsche Seite auf, "die entstandene Situation im Auge zu behalten".

Moskau, 20. Oktober 2009


Die breite Öffentlichkeit der Russlanddeutschen hat mit Unverständnis und Sorge die Mitteilung über die Eröffnung eines Strafverfahrens gegen den Historiker Michail Suprun aus Archangelsk aufgenommen. Die Rechtsschutzorgane in Archangelsk sehen in seiner Arbeit an dem deutsch-russischen Projekt über Deutsche, die von Repressionen betroffen waren, ein Vergehen.

Ziel des Projekts ist die Herausgabe eines „Gedenkbuches“ über Opfer des Zweiten Weltkrieges bzw. der Vor- und Nachkriegszeit. Der Wissenschaftler wird beschuldigt, gesetzwidrig persönliche Daten weitergegeben zu haben, die er im Zuge seiner Forschungsarbeit erlangt hat. Bei Michail Suprun fand eine Durchsuchung statt, sein persönliches Archiv wurde beschlagnahmt, und eine Untersuchung wurde eingeleitet. Dadurch wurde die Arbeit an dem Projekt praktisch auf Eis gelegt.

Wir halten die Anschuldigungen der Rechtsschutzorgane in Archangelsk für unbegründet und die Handlungen für unüberlegt. Es handelt sich hier offensichtlich um einen willkürlichen Akt, der die wissenschaftliche Arbeit mit Quelldaten in Archiven behindert, die dazu dient, das Gedenken an Opfer des Stalinismus zu bewahren. Gleichzeitig sehen wir darin einen Verstoß gegen das „Gesetz der Russischen Föderation zur Rehabilitierung von Opfern politischer Verfolgung“ Nr. 1761-1 vom 18. 10. 1991, in dem die Veröffentlichung solcher Listen vorgesehen ist.

Die Russlanddeutschen gehören zu den von Repressionen betroffenen Völkern Russlands. Die Regierung der Russischen Föderation bemüht sich bereits seit fast 20 Jahren zusammen mit der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, das durch die Repressionen angegriffene ethnische Potenzial der deutschen Bevölkerung Russlands wiederherzustellen und zu fördern. Die Zusammenarbeit beider Staaten erfolgt im Rahmen der Deutsch-Russischen Regierungskommission für Angelegenheiten der Russlanddeutschen.

Zu den wichtigsten Aufgaben in der praktischen Arbeit im Interesse der Russlanddeutschen gehört die Wiederherstellung des historischen Gedächtnisses, was ohne wissenschaftliche Arbeit in Archiven, also auch mit Personalakten von Opfern des Stalinismus, undenkbar wäre. Viele solcher Projekte, darunter z. B. die Enzyklopädie „Die Deutschen Russlands“, stoßen auf breite Zustimmung und werden im Rahmen der Deutsch-Russischen Regierungskommission umgesetzt.

Ein faktisches Verbot der Arbeit von Wissenschaftlern in Archiven oder die Behinderung deren Arbeit würde unweigerlich zur Einstellung der Forschungsarbeiten führen und zöge schwere Folgen für das ethnische Selbstwertgefühl der Russlanddeutschen und der anderen von Repressionen betroffenen Völker nach sich. Nicht zuletzt würde die erfolgreiche deutsch-russische Zusammenarbeit infrage gestellt.

Heinrich Martens
Die Föderale Kulturautonomie der Russlanddeutschen und die Assoziation gesellschaftlicher Vereinigungen „Internationaler Verband der deutschen Kultur“ (IVDK) als die führenden gesellschaftlichen Organisationen der deutschen Minderheit, die die Interessen und die Meinung von 600.000 Russlanddeutschen in der Russischen Föderation vertreten, erklären, dass sie solche Handlungen von Rechtsschutzorganen entschieden ablehnen.

Die Föderale Kulturautonomie der Russlanddeutschen und der IVDK machen die Führungsspitze der Russischen Föderation auf die Unzulässigkeit solcher Übergriffe durch örtliche Rechtsschutzorgane aufmerksam und fordern, das Untersuchungsverfahren gegen Michail Suprun unverzüglich einzustellen und ihm die Bedingungen einzuräumen, die es ihm ermöglichen, an der Wiederherstellung des historischen Gedächtnisses weiterzuarbeiten.

Wir wenden uns an die beiden Kommissionsvorsitzenden der Deutsch-Russischen Regierungskommission für Angelegenheiten der Russlanddeutschen und empfehlen, die entstandene Situation im Auge zu behalten, die im Kern gegen die bestehenden deutsch-russischen Verträge verstößt.

Sollten die unbegründeten und haltlosen Vorwürfe gegen die Historiker nicht unverzüglich zurückgezogen werden, behalte ich mir vor, mich in meiner Eigenschaft als führender Funktionär der Russlanddeutschen und als Bürger der Russischen Föderation, an den Präsidenten Russlands zu wenden.

Präsident der Föderalen
Kulturautonomie der Russlanddeutschen
Vorsitzender der Assoziation der
gesellschaftlichen Vereinigungen
„Internationaler Verband der
deutschen Kultur“
Heinrich Martens

Quelle: „Обращение Федеральной национально-культурной автономии российских немцев …“,
„Obrascenie Federalʼnoj nacionalʼno-kulʼturnoj avtonomii rossijskich nemcev …“,
www.rusdeutsch.ru;
Übersetzung: Norbert Krallemann

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