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Kleinod von Tscheljabinsk

Das deutsche Begegnungszentrum bald ohne Bleibe?
Kleinod von Tscheljabinsk Demonstranten vor dem Bürgermeisteramt in Tscheljabinsk

Dem Begegnungszentrum der deutschen Minderheit in der Uralstadt Tscheljabinsk droht das Aus. Die Stadtverwaltung will das historische Gebäude künftig selber nutzen. Andere Vermutungen sprechen davon, das Gebäude solle womöglich einem Neubau weichen.

Tscheljabinsk, im September 2009 – Der rote Ziegelbau in der Worowskaja-Straße Nr. 5 erscheint wie ein Künder aus alter Zeit. Inmitten gleichförmiger Häuser aus der Sowjetzeit umgibt ihn noch die Aura des alten Tscheljabinsk. Wladimir Pokrowskij, ein wohlhabender Gutsbesitzer, ließ das Gebäude 1901 als Schule für die Kinder armer Leute errichten und schenkte es der Stadt. Seit dieser Zeit war die Nr. 5 stets eine Bildungsstätte für Tscheljabinsks Bürger. Doch mit dieser Tradition könnte es bald vorbei sein.

Ein Schiedsgericht hatte im Juli den Hauptmieter, den Bildungsverein „Snanie“ [dt.: Wissen], zum Auszug aus dem Gebäude aufgefordert. Zusammen mit dem Verein wird auch das Begegnungszentrum der Russlanddeutschen, das hier ein Büro hat, seine Bleibe verlieren.

„Seit mehr als zehn Jahren haben wir einen Vertrag mit dem Verein „Snanie“, sagt Oleg Salo, Vorsitzender des Begegnungszentrums „Wiedergeburt“. „Uneigennützig hat uns der Verein ein Büro und Räumlichkeiten für unsere Veranstaltungen zur Verfügung gestellt, und all die Jahre hatten die Bürger der Stadt viel Freude an unseren Veranstaltungen.“

Mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland werden hier kostenlose Sprachkurse für Deutsche aus Tscheljabinsk und für Freunde der deutschen Sprache und Kultur angeboten. Es gibt zudem Kurse, in denen Grundlagen für gesuchte Berufe wie Buchhalter und Friseur oder für Computeranwender vermittelt werden. Daneben finden sich Kurse für ältere Menschen oder Lehrer. In den gemütlichen Räumen des Hauses in der Vorowskaja uliza haben die Russlanddeutschen ihre traditionellen Feste gefeiert: Weihnachten, Ostern, Erntedankfest. Im Juni hat mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland hier noch ein Sommerlager für Schüler stattgefunden.

„Unsere deutschen Partner von der Entwicklungsgesellschaft ‚Nowosibirsk‘ und viele angesehene Bürger aus Tscheljabinsk haben Briefe an die Bürgermeisterin und den Gouverneur geschrieben und darum gebeten, der Gesellschaft ‚Snanie‘ und damit auch uns das Haus zu lassen“, erzählt Oleg Salo.
Oleg Salo ist Leiter des Begegnungszentrums

Der Gouverneur von Tscheljabinsk unterstützt die Gesellschaft, aber die Bürgermeisterin ist dagegen. Jetzt sollen in die Räume, in denen mehr als ein Jahrhundert Kinder und Erwachsene unterrichtet wurden, angeblich Beamte einziehen. Das wäre das Aus für viele soziale Projekte, also auch für die der Russlanddeutschen.

Die Leute würden buchstäblich auf die Straße geworfen, denn ein anderes Gebäude steht nicht zur Verfügung. Der offiziellen Version zufolge will die Stadt in Zeiten der Krise damit ihre Ausgaben verringern: die Gesellschaft „Snanie“ muss derzeit keine Miete zahlen.

„Das ist ziemlich hinterlistig!“, empört sich die Direktorin des Informations- und Bildungszentrums der Gesellschaft „Snanie“, Natalja Sedatschjewa. „Die Stadt gibt für den Unterhalt des Gebäudes nicht eine Kopeke aus. Die laufenden Betriebskosten bezahlen wir selbst. Aber wenn hier Beamte einziehen sollen, werden auf die Stadt Kosten zukommen. Auch für Instandsetzungs- und Umbauarbeiten wird viel Geld fließen müssen: Die Beamten werden sich ja wohl kaum in einen großen Saal für 50 Personen setzen.“

„Ich habe da so meine Zweifel, ob tatsächlich irgendwelche andere Strukturen in das Haus einziehen“, meint der Präsident des Bildungsvereins „Snanie“ im Gebiet Tscheljabinsk, Gennadij Michajlow, Professor an der Staatlichen Universität Südural. „In drei Monaten vielleicht wird man feststellen, dass die Räume zum Arbeiten ungeeignet sind. Dann wird das Haus ganz einfach abgerissen. Damit hätte man dann Platz für ein Geschäftszentrum oder ein Wohnhochhaus. Das Haus sollte man aber besser restaurieren. Es ist schließlich ein Kleinod von Tscheljabinsk!“

Lehrkräfte der Gesellschaft „Snanie“ hatten nach Bekanntwerden des Beschlusses gemeinsam mit Russlanddeutschen direkt unter den Fenstern der Bürgermeisterin ein Demonstration veranstaltet. Von den Beamten ist natürlich niemand zu den protestierenden Bürgern gekommen. Jetzt will man vor Gericht ziehen. Das Schicksal des Begegnungszentrums hängt an einem seidenen Faden.

Quelle: Ирина Голлай: „В Челябинске российские немцы …“,
Irina Gollaj: „B Celjabinske rossijskie nemcy …“,
Moskovskaja Nemeckaja Gazeta, 15. Juli 2009;
Übersetzung: Norbert Krallemann

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