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Oft unter staatlichem Druck

Die deutschen Schulen in Russland
Oft unter staatlichem Druck Von links: Irina Tscherkassjonowa, Professor Arkadij German, Jelena Seifert (Autorin dieses Beitrags) im Oktober 2007 in Moskau
Foto: Jelena Seifert

Die Schulen der Deutschen in Russland hatten stets so viel Freiheit, wie es der russische Staat zuließ. Dennoch haben ihre Bildungseinrichtungen wesentlich zum Erhalt der russlanddeutschen Identität beitragen können. Zu diesem Fazit kommt die Doktorarbeit von Irina Tscherkassjonowa, die unter dem Titel „Die Schulbildung der Russlanddeutschen: Probleme des Zusammenwirkens von Staat, Kirche und Gesellschaft 1830-1917“ dieser Tage in St. Petersburg abgeschlossen worden ist.

St. Petersburg im Februar 2009 – Irina Tscherkassjonowa lebt und arbeitet in St. Petersburg in Russland. Kindheit und Jugend jedoch hat sie in Kasachstan verbracht, wo sie auch an der historischen Fakultät der Staatlichen Buketow-Universität in Karaganda studierte. So ist man in Russland und Kasachstan gleichermaßen stolz auf die nun vorliegende wissenschaftliche Arbeit.

Die Geschichte der deutschen Schule wird von Irina Tscherkassjonowa im historischen Kontext der Entwicklung Russlands und der russischen Gesellschaft vom 19. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts und gleichzeitig als eine wichtige Komponente in der Geschichte der Russlanddeutschen dargestellt. Die Doktorandin untersucht dabei die Bevölkerungsgeografie und das geistige Leben der Russlanddeutschen jener Zeit, die Politik des Staates gegenüber den deutschen Schulen, den Einfluss der Kirche auf die Konsolidierung und Entwicklung des Bildungswesens der Deutschen, die Rolle der Bevölkerung beim Erhalt der traditionellen Schule und das Entstehen neuer Bildungseinrichtungen.

In der Doktorarbeit sollen Charakter und Einfluss staatlicher, kirchlicher und gesellschaftlicher Institutionen in ihrer Wechselwirkung auf das Bildungssystem der Deutschen beschrieben werden. Die Autorin geht von der Hypothese aus, dass Gesellschaft und Kirche durchaus in der Lage waren, auch ohne Beteiligung des Staates ein System zur Grundschulbildung, später auch zur mittleren Schulbildung zu schaffen und zu unterhalten. Der Erfolg bei Organisation und Ausbau des Systems hing aber maßgeblich vom Zusammenwirken gesellschaftlicher, kirchlicher und staatlicher Strukturen ab. Der wachsende Druck des Staates hat die Schule jedoch immer stärker zu einem überlebenswichtigen Element der deutschen Volksgruppe werden lassen. […].

Die Schlussfolgerungen, zu denen die Autorin kommt, sind nicht nur für Historiker, sondern auch für Pädagogen, Soziologen, Psychologen und Gesellschaftswissenschaftler von großem Interesse. Frau Tscherkassjonowa geht davon aus, dass die national geprägte Schule mit muttersprachlichem Unterricht trotz mancher Unterschiede bei den verschiedenen konfessionellen Gruppen ein konsolidierender Faktor für die Russlanddeutschen war und wesentlich zum Erhalt der ethnischen Identität beigetragen hat.

Der Staat hat sich dabei stets nach aktuellem politischen Interesse verhalten: Zur Zeit der Ansiedlung ausländischer Kolonisten und angesichts des unterentwickelten russischen Schulsystems mischte er sich nicht in das Schulsystem der Deutschen ein. Doch mit fortschreitender Modernisierung und Reformierung der Gesellschaft passte der russische Staat alle Arten nationaler Schulen immer stärker dem eigenen System an. Die Traditionen und Besonderheiten der verschiedenen Volksgruppen gerieten dabei ins Hintertreffen. Die extreme Zuspitzung der sogenannten deutschen Frage vor und während des Ersten Weltkrieges stellte die Existenz der russlanddeutschen Schulen schließlich insgesamt infrage.
 
Der Wert dieser Dissertation kann nicht hoch genug bewertet werden, wird damit doch eine weitere Lücke in der modernen Geschichtswissenschaft geschlossen.

Quelle: Елена Зейферт: „ Новое в науке о российских немцах“, Elena Zejfert: „Novoe v nauke o rossijskich nemcach“, http://deutsche-allgemeine-zeitung.de vom 23. 1. 2009; Übersetzung: Norbert Krallemann

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