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Moskau, 24. November
Erinnerst Du Dich an die erste Zeit in Deutschland?
Natalia Schreiner: Am Anfang war es sehr schwer für mich. Damals war ich 16 Jahre und habe meine Freunde in Russland vermisst. Ich konnte, wie die meisten in meiner Situation, nur sehr schlecht Deutsch, was das größte Problem darstellte. Nach etwa einem Jahr wurde es jedoch besser, nachdem ich mich an das Land, die Menschen, die Sprache und die Umstände gewohnt habe.
Wo lagen denn die Probleme?
Als erstes natürlich die Sprachbarriere. In Deutschland angekommen, ist mir klar geworden, dass ich mit meinen Sprachkenntnissen nicht viel werde erreichen können. Und schon gar nicht studieren, was ich eigentlich immer wollte. Insgesamt war ich als Jugendliche mit der Situation überfordert. Erst als ich nach einem halben Jahr in Deutschland neue Freunde gefunden hatte, habe ich mich besser gefühlt. Das zweite Problem war natürlich die Schule. In Russland habe ich 10 Klassen abgeschlossen. In Deutschland habe noch einmal die 10. Klasse des Gymnasiums besucht, kam aber im Unterricht wegen der mangelnden Deutschkenntnisse nicht mit.
Wie hast du die Probleme mit der Sprache, mit der Ausbildung und mit den Freunden bewältigt?
Ich hatte Glück und konnte eine Schule mit einem integrierten Internat in der Eifel besuchen. Da wurden Deutsch-Intensivkurse extra für junge Menschen wie mich angeboten. Nach einem halben Jahr Sprachkurs konnte ich auf dem Gymnasium bleiben und mein Abitur machen. 2002 habe ich die Schule mit dem Abitur verlassen und studiere seitdem in Mainz. Während der Schulzeit sind neue Freundschaften entstanden, die bis heute halten. Der neue Freundeskreis, das vertraute Umfeld, die Schule, in der ich mich wohl fühlte, machten die Eingewöhnung und die Integration leichter. Irgendwann habe ich mich in Deutschland nicht mehr wie im Ausland, sondern zu Hause gefühlt. Bewusst wurde mir das 1999, als wir drei Jahre nach unserer Ankunft in Deutschland mit der ganzen Familie wieder Russland besuchten.
Fühlst du dich jetzt als Russin oder als Deutsche? Zu wem hast du mehr persönliche Kontakte?
Ich bin Deutsche. Alleine aus dem Grund, dass meine Eltern Deutsche sind und ich auch in Russland Deutsche war. Was das Deutschfühlen anbetrifft, so fühle ich mich überwiegend deutsch. Denn Deutschland hat sehr viele Facetten zu bieten. Ich bin eine dieser Facetten. In diesem Sinne bin ich deutsch und nicht in dem Sinne, dass ich mich total assimiliert habe und mich den ‚deutschen Traditionen’ angepasst habe. So kommt es, dass ich mich deutsch fühle, in Deutschland zu Hause bin, und trotzdem die meisten meiner Bekannten und Freunde eine ähnlichen Herkunft haben wie ich. Das kommt davon, dass wir Gleiches erlebt haben, gleiche Kenntnisse haben und daher gleich oder ähnlich ticken. Es beginnt mit der ähnlichen Kindheit, den Emigrationserinnerungen, den gleichen Schwierigkeiten in Deutschland und den gemeinsamen Erfahrungen in Schule und Ausbildung. Natürlich habe ich auch deutsche Bekannte, aber es sind keine wahren Freundschaften daraus entstanden. Bei meiner jüngeren Schwester dagegen, die mit 9 Jahren nach Deutschland kam, sieht es anders aus. Die meisten ihrer Freunde sind ‚richtige’ Deutsche aus ihrer Schule, den Vereinen, die sie besucht.
Wie unterscheiden sich Russlanddeutsche von Russen in Russland und von Deutschen in Deutschland?
Sie sind weder das Eine noch das Andere. Eine Mischung eben. Und daher sind sie häufig zusammen, weil nur diejenigen, die Gleiches kennen, einander verstehen. Insgesamt kennen die Russlanddeutschen, je nachdem wie alt sie waren, als sie nach Deutschland kamen, die eine oder die andere Seite besser. Oft fühlen sie sich nirgendwo zu Hause. In Russland haben die Deutschen zum Beispiel am 24. Dezember deutsche Weihnachten mit deutschem Weihnachtsgebäck gefeiert und waren in der Regel ordentlicher und fleißiger als die Russen. In Deutschland bauten viele Russlanddeutsche gemeinsam an ihren Häusern, halfen einander sehr, was Deutsche sehr gewundert hat, weil es nicht so üblich ist. Je länger man aber in Deutschland ist, desto mehr nimmt man die deutsche Lebensweise an – man geht weniger die Bekannten besuchen und wenn, dann vereinbart man vorher einen Termin.
Warum hast Du Dich jetzt zu einem Praktikum Moskau entschieden?
Ich war schon einmal in Moskau, und die Stadt hat mich fasziniert – vor allem mit ihrem kulturellen Angebot. Deswegen wollte ich noch einmal für eine längere Zeit hierher. Also habe ich mich für ein zweimonatiges Praktikum beim DAAD entschieden.
Wo willst du künftig leben - in Russland oder in Deutschland?
Definitiv in Deutschland. Der Lebensstandard ist in Deutschland viel höher als in Russland. Zudem habe ich ein deutsches Abitur, studiere in Deutschland und habe vor, dort zu arbeiten. Meine Familie und Freunde sind auch in Deutschland. Und je länger ich in Russland bin, desto klarer wird mir, dass ich in Deutschland zu Hause bin.
Was müsste noch in Deutschland geschehen, um Russlanddeutsche besser in die Gesellschaft zu integrieren?
Das ist eine schwierige Frage. Als erstes muss das Verständnis für die Probleme und die Schwierigkeiten der Russlanddeutschen vorhanden sein. Dann muss es genügend Sprachangebote geben und natürlich Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Nur wenn man die Sprache beherrscht und eine Arbeit hat, kann man sich integrieren. Für Ältere muss auch die Möglichkeit gegeben sein, ihre Ausbildungs- und Hochschuldiplome anzuerkennen.
Was können Deutsche von den Russlanddeutschen lernen?
Die Tatsache, dass es auch andere Menschen gibt, die nicht schlechter und nicht besser sind, nur weil sie eine andere Vergangenheit haben. Zudem können Deutsche vielleicht einige eher russische Eigenschaften wie ein offeneres Wesen, die Geselligkeit und Zusammenhalt in der Familie von uns lernen. (Interview: Olga Sasuchina)
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