Sie sind hier: Startseite ›› Themen und Berichte ›› Geschichte
Die Monte Olivia brachte die ersten Aussiedler nach Brasilien
|
Über fünftausend weitere Auswanderer sollten in den folgenden Monaten über Hamburg und Bremen ausreisen, die Mehrzahl nach Brasilien, viele nach Paraguay und Kanada, einige wenige nach Argentinien, Mexiko und in die USA. Noch wenige Jahre zuvor hatten sie ein auskömmliches Leben geführt und nicht daran gedacht, bald aus ihrer Heimat zu fliehen – aus der deutschen Wolgarepublik, aus Westsibirien, aus der Ukraine, von der Krim.
Vorbehalte in Deutschland
Tausende Russlanddeutsche hatten sich 1929 auf den Weg nach Moskau gemacht, weil ihnen die Kollektivierung der Landwirtschaft keine andere Wahl zu lassen schien, als die Sowjetunion zu verlassen. Von den Behörden erwarteten sie die Genehmigung zur Ausreise, doch längst nicht alle hatten Erfolg. Auch Deutschland als erste Station vor der Reise in die Neue Welt war kaum geneigt, die Flüchtlinge aufzunehmen – aus Sorge vor den wirtschaftlichen Belastungen, vor allem aber, um die Beziehungen zur jungen Sowjetunion nicht zu gefährden.
Die Stadt Mölln in Schleswig-Holstein zählte damals 6.500 Einwohner. Ihre Nähe zu den Überseehäfen Bremen und Hamburg und ein nicht mehr genutztes Kasernengebäude, die ehemalige Unteroffiziersvorschule, gaben den Ausschlag, die deutschen Flüchtlinge aus Russland hier aufzunehmen.
Die Regierung in Berlin hatte eigens einen „Reichskommissar für Deutsch-Russen-Hilfe“ eingesetzt, den sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Daniel Stücklen. Unter Führung des Deutschen Roten Kreuzes wurde der Reichsausschuss „Brüder in Not“ gegründet, der für die Betreuung der Flüchtlinge zuständig war.
Der Empfang
In Mölln war man darauf eingestellt, etwa tausend Personen aufzunehmen. Überstürzt musste nahezu die gesamte Ausstattung, die zur Beherbergung der erwarteten Menschen nötig war, beschafft werden, dazu Heizmaterial und vor allem Lebensmittel. Dutzende von Eisenbahnwaggons brachten das Material aus dem Rheinland herbei. Es traf sich gut, dass das Rheinland erst kurz zuvor von französischen, britischen und belgischen Besatzungstruppen geräumt worden war und die Ausstattungen der dortigen Kasernen nun zur Verfügung standen.
„Dreihundert Gäste wurden erwartet, wildfremde, und am Möllner Bahnhof hing keine Girlande aus. Feuerwehrleute hatten den Platz abgesperrt, und höhere Beamte eilten geschäftig auf und ab, von freiwilligen Schwestern unterstützt. (…) Einige der Schülerinnen knicksten und einige der Schüler zogen die Mütze, wenn sie den Lehrer Franz Eggert gewahrten, der hatte vor der Feier auf die Nöte der Heimatlosen verwiesen, nun stand er neben einem der Feuerwehrmänner. ‚Guten Tag, Herr Wieghorst.‘ ‚Guten Tag, Herr Eggert.‘ ‚Die Ersten. Gut, dass sie kommen.‘ – ‚Gut, dass sie kommen‘, wiederholte der Kaufmann Wieghorst junior, ‚die Russen retten unsere U.V..‘ ‚Ja, aber es sind keine Russen, es sind Russlanddeutsche, Deutsche aus Russland.‘“
|
Zu Beginn des Jahres 1930 lag die Zahl der Lagerbewohner bereits bei rund 1.200. Neben der organsierten Ausreise aus Russland gab es auch nicht Wenige, die sich allein auf den Weg gemacht und über Polen auf deutsches Territorium durchgeschlagen hatten. Eine Gruppe von Flüchtlingen, die so genannte Mesched-Gruppe, hatte eine Odyssee hinter sich und war über Persien und Frankreich nach Deutschland gekommen. In der persischen Provinz Astrabad gab es seit Ende des Ersten Weltkriegs Kolonien russischer und deutsch-mennonitischer Siedler.
Das gemeinsame Band
Die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung war beeindruckend, heißt es in verschiedenen Quellen, die das Möllner Kirchenarchiv gesammelt hat. Pastor Paul Bruns von der Evangelischen Kirchengemeinde, der die Spenden für das Rote Kreuz koordinierte, unterstrich immer wieder die christliche Religion, die mit den Flüchtlingen aus dem Osten verbinde.
Und Bürgermeister Gerd Wolff hatte in seiner Begrüßungsrede zur Ankunft der ersten Gruppe die Volkszugehörigkeit der „deutschen Landsleute“ hervorgehoben und im Pathos der Zeit hinzugefügt: „Ihr habt Euch getrennt von allem, was Euch lieb war, um der Stimme des Blutes zu folgen.“
Die Erinnerung an den Aufenthalt mehrerer tausend Deutscher aus Russland ist verblasst. Die ehemalige Unteroffiziersvorschule steht heute zum Verkauf, nachdem sie in den zurückliegenden Jahren als Weiterbildungsstätte der Bundeswehr gedient hatte. Für 22 Flüchtlinge war Mölln die letzte Station auf ihrer Reise in ein erhofftes neues Leben. Ein Denkmal auf dem Alten Friedhof der evangelischen Kirchengemeinde an der Hindenburgstraße erinnert als letztes Zeugnis an die Flucht tausender Russlanddeutscher, denen die Stadt Mölln eine kurze Bleibe bot. (Ulrich Stewen)
Um das Kurzvideo vom Denkmal in Mölln anzuschauen, geben Sie bitte ein Passwort ein: Moelln
|
Ihre Meinung |
|