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Eigenständigkeit verloren

Die „Zeitung für Dich“ erscheint heute nur noch als Beilage

Die „Rote Fahne“ war eine der ersten deutschsprachigen Zeitungen Sibiriens nach dem Krieg. Das war 1957. Seit den neunziger Jahren heißt das Blatt „Zeitung für Dich“. Die dreiköpfige Redaktion hat in den vergangenen Jahren zumindest dazu beigetragen, dass die ZfD nicht vom Markt verschwand. Schon das allein erforderte großen Einsatz.

Nürnberg, im Juni 2012 - Jakow Grinemaer sitzt im Stadtrat des westsibirischen Ortes Slawgorod. Der russlanddeutsche Unternehmer hatte die Idee und das Geld für die Aktion „75 Exemplare der Zeitung für Dich“. Als die Regionalpresse im Altaigebiet kürzlich darüber berichtete, meldeten sich über hundert Interessenten für ein Gratis-Abonnement. Grinemaer: „Diese Tatsache bedeutet nur eins, unsere liebe Zeitung für Dich ist ungeachtet aller Schwierigkeiten gefragt. Und wir müssen dieses Interesse weiter pflegen.“

mehr als drei Jahrzehnte trug die Zeitung den Namen "Rote Fahne"

Der gute Ruf ist geblieben

Pflege hat die traditionsreiche „Zeitung für Dich“ (ZfD) in der Tat bitter nötig. Auch wenn das frühere Wochenblatt heute nur noch ein schwächelndes Abbild seiner selbst ist. Aus dem themenreichen Journal für die deutsche Bevölkerungsgruppe in der Altairegion ist eine kaum beachtete Beilage der in Barnaul erscheinenden „Altaiskaja Prawda“ geworden.

Auf Anordnung der Gebietsverwaltung war die 24-seitige Zeitung zum Jahresende 2005 eingestellt worden und fristet seither mit vier Seiten ein kümmerliches Dasein gleichsam als verschämter Beleg dafür, dass man der deutschsprachigen Presse ja immerhin nicht komplett den Garaus gemacht habe.

die ZfD-Titelseite im 45. Erscheinungsjahr

Vor 55 Jahren war die ZfD-Vorgängerin „Rote Fahne“ als eine der ersten deutschsprachigen Zeitungen der Nachkriegszeit im westsibirischen Altai gegründet worden. 1990 erhielt das Blatt den Namen „Zeitung für Dich“, eine engagierte Redaktion nahm sich des Alltags der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe in der Region an. Dass der Name und der Ruf der Zeitung nicht untergegangen sind, könnte eigentlich Grund zur Freude sein, immerhin ist das Blatt noch von rund tausend Beziehern gefragt. Einerseits. Andererseits kann ein Journal kaum von einer derart kleinen Leserschaft finanziell getragen werden.

Russlanddeutsche Organisationen in Moskau
zeigen kein Interesse


Doch die geschrumpfte Auflage und fehlende Werbeeinnahmen sind nur eine Seite des Problems. Der beschleunigte Identitätsverlust der deutschen Minderheit in der ehemaligen Sowjetunion und die mangelhafte Förderung kultureller Belange durch staatliche Stellen haben ein Übriges getan, um die Krise zu verstärken.

Chefredakteurin Maria Alexenko in der ZfD-Ausgabe von Januar 2012:

 

„Wir, die heute die Zeitung für Dich machen, hoffen, dass unsere russlanddeutschen Landsleute sich wieder ihrer Muttersprache zuwenden und diese ihren Kindern weitergeben werden. Gerade dazu ist unsere Redaktion berufen, ihnen bei der Pflege und Entwicklung der deutschen Sprache und Kultur zu helfen. Die Zeitung für Dich sollte vor sechs Jahren gleich manch anderer deutschsprachigen Zeitung verschwinden. Aber es kam anders. In diesem Sommer werden wir das 55. Jubiläum, wenn auch jetzt nur noch als deutschsprachige Beilage, begehen.“

 

 

Hinzu kommt: Zu Beginn der neunziger Jahre hatte die Zeitung noch eine Auflage von zweitausend Exemplaren. So sehr sich die Redaktion auch bemühte, für die Leserschaft attraktiv zu bleiben, schrumpfte der Kreis der Abonnenten zusehends. Laut der Volkszählung des Jahres 2002 sollen in der Altairegion immer noch rund 80.000 Angehörige der deutschen Minderheit leben. Seit die überwiegende Mehrheit der sprachkundigen Leserschaft allerdings ausgewandert ist, sind diejenigen, die sich als Angehörige der deutschstämmigen Bevölkerungsgruppe betrachten und von der Zeitung angesprochen werden, in ihrer Mehrheit sprachlos.

Die Tatsache, dass die ZfD mit der Tradition eines halben Jahrhunderts heute nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit erscheint, liefert einmal mehr den Beweis dafür, dass die kulturellen Belange der deutschen Minderheit in Russland kaum noch von Interesse sind. Den Behörden der Altairegion war das Blatt seit jeher ein Dorn im Auge. Aber auch die russlanddeutschen Organisationen und Verbände rührten keinen Finger, als es darum ging, sich für das Überleben der einzigen deutschsprachigen Zeitung Sibiriens einzusetzen. Plädieren doch der Internationale Verband der Deutschen Kultur (IVDK) und die Föderale National-Kulturelle Autonomie sonst bei jeder Gelegenheit im Gleichklang mit ihren deutschen Förderern für den Erhalt der russlanddeutschen Kultur.

Ist eine deutschsprachige Zeitung noch gefragt?

Wer braucht also noch eine deutschsprachige Zeitung, alldieweil die meisten Deutschen ohnehin längst ausgereist sind? Viele der verbliebenen Deutschen, die sich zu ihrer Herkunft bekennen, haben meist keinen Bezug zur deutschen Sprache oder zur deutschen Kultur. Die Realität lässt einer deutschsprachigen Zeitung somit kaum Chancen zum Überleben.

zuweilen treffen sich ehemaligen ZfD-Mitarbeiter, die nach Deutschland ausgewandert sind

Auf der anderen Seite lässt sich auch in der deutschen Minderheit ein neues Selbstbewusstsein beobachten, das nach Ausdruck sucht, auch wenn die deutsche Sprache weitgehend abhanden gekommen ist. Auf dem Land ebenso wie  in den Großstädten Sibiriens ist das Angebot an deutschsprachigen Druckerzeugnissen spärlich. Darauf hat die dreiköpfige ZfD-Redaktion in den vergangenen Jahren immer wieder hingewiesen – mit wenig Erfolg.

Die Redaktion bemüht sich derzeit darum, dass die ZfD zumindest zweimal im Monatlich erscheinen kann. Dass es sich lohnen würde, eine qualitativ anspruchsvolle Zeitung für Sibirien in deutscher Sprache vorzulegen, beweisen nicht zuletzt auch die zahlreichen Leserbriefe, die die Redaktion auf die Initiative von Jakow Grinemaer erhalten hat. (Nina Paulsen)


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Josef Schleicher zur Geschichte der ZfD:

"Von der 'Roten Fahne' zur 'Zeitung für Dich' - Der dornige Weg der deutschsprachigen Presse im Altai"


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