Dabei bemühte sich die Kanzlerin anfangs durchaus zu zeigen, dass die Ära Schröder in den deutschen-russischen Beziehungen endgültig beendet ist und sie einem sachlich nüchternen Stil den Vorrang gibt. So vermied sie es, während ihres Aufenthaltes in einer von Gazprom bereitgestellten Villa am Ufer des Tom zu residieren – und zog ein Hotel im Stadtzentrum vor. Das so genannte „Schröderhaus“ gehörte noch in die Planungsphase des Regierungstreffens vor den Bundestagswahlen 2005. Bereits damals hatte Wladimir Putin den späteren Ex-Kanzler nach Tomsk geladen.
Gemeinsamer Wirtschaftsraum
Auf der abschließenden Pressekonferenz betonte die Kanzlerin, dass es zwischen ihr und Präsident Putin durchaus Meinungsverschiedenheiten gebe. Die gemeinsamen Gespräche sein „offen und intensiv“ gewesen. Gleichzeitig ließ sie an ihrem Willen zu einer stärkeren Zusammenarbeit beider Länder keinen Zweifel. Wie um Putins Postulat von der Schaffung eines "gemeinsamen Wirtschaftsraums" zu bekräftigen, skandierten Merkel und Putin einträchtig den Abschluss mehrerer Wirtschaftsabkommen.
BASF-Vorstandsvorsitzender Jürgen Hambrecht und Gazprom-Chef Alexej Miller unterzeichneten einen Vertrag mit einem Investitionsvolumen von über eine Milliarde Dollar. Die BASF-Tochter Wintershall wird sich als erstes ausländisches Unternehmen an der Erschließung eines Gasfeldes in Russland beteiligen. Gazprom erhielt dafür einen höheren Anteil an Wingas, einem Gemeinschaftsunternehmen mit BASF-Wintershall, das Gas in Deutschland verkauft. Beide Unternehmen, Gazprom und BASF, würden zudem je 50 Prozent an Wingas Europe tragen, das für die Vermarktung in Europa zuständig ist.
Deutsche Bahn-Chef Hartmut Mehdorn unterzeichnete ein Abkommen mit seinem Kollegen von der russischen Eisenbahn über die Gründung eines gemeinsamen Logistikunternehmens in Russland. Die Deutsche Bank, vertreten durch Josef Ackermann, schloss mit der Russian Bank for Development sowie der Vnesheconombank Verträge über umfangreiche Finanzierungsprojekte in Russland ab.
Merkel und Putin kündigten an, dass noch in diesem Jahr eine deutsch-russische Außenhandelskammer in Moskau gegründet werde, die es vor allem dem deutschen Mittelstand erleichtern soll, in Russland Geschäftbeziehungen aufzunehmen.
Reizthema Energie
Differenzen offenbarten sich beim Thema Energiemärkte. Wladimir Putin nutzte das Tomsk-Treffen und hielt mit Kritik am Westen nicht hinterm Berg. „Warum diese Angst vor Russland“, fragte er. Man empfinde es als ungerecht, wenn der Westen, sobald russische Firmen in Westeuropa investieren wollen, sogleich von Expansion spreche. Wenn westliche Investoren nach Russland kommen, nenne man das Globalisierung. Nach Putins Wahrnehmung gibt es unterschiedliche Spielregeln.
Beide Länder sind im Energiesektor aufeinander angewiesen. Putin versprach die "zuverlässige Lieferung" von Energie nach Deutschland. Die Kanzlerin sprach von einer „verlässlichen Partnerschaft“, denn Russland exportiere seit 40 Jahren verlässlich Öl und Gas nach Deutschland, und das werde so bleiben, meinte Merkel.
Historische Verpflichtung
„Zur breit angelegten strategischen Kooperation“, gehören auch Kultur, Forschung, Bildung und Jugendaustausch. Darum nutzte die Kanzlerin ihren Aufenthalt in Tomsk für einen Besuch bei den Russlanddeutschen. Im Beisein von Innenminister Wolfgang Schäuble und Außenminister Frank-Walter Steinmeier nahm sie im Russisch-Deutschen Haus vor folkloristischer Kulisse die Grußbotschaften von Vertretern der deutschen Minderheit entgegen. Von russlanddeutscher Seite kam die Bitte zu überprüfen, ob es Erleichterungen bei der Erteilung von Visa für nahe Verwandte beim Besuchsverkehr geben könne. An dem Gespräch nahmen auch Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche in Sibirien teil. Bei der Weihe der evangelisch-lutherischen Marienkirche zündete Merkel eine Kerze an und versprach, sich für eine geeignete Glocke einzusetzen. (© ORNIS/Robert Teschner, 29. April 2006)
Links zum Thema |
- Russlandanalysen: Russisch-Deutsche Konsultationen in Tomsk |