Von Nina Trentmann
Die ehemals weißen Wände sind vergilbt. Risse ziehen sich durch den Lack. Hinter dem Kühlschrank wuchert Schimmel. „Regierung von Schwaben“ steht auf der verbeulten Kühlschranktür. Keine Sorge, den klaut schon keiner. Auf dem Herd in der kleinen Wohnung im Übergangswohnheim Birkenhof in Augsburg steht eine fettig glänzende Pfanne, im Topf ein Rest brauner Brei. Die Spüle quillt über. Im Schlafzimmer der Familie Daus flimmert „Wer wird Millionär?“ über den Bildschirm.
SLK-Poster über dem Bett
Hier, inmitten eines Chaos aus Wäsche und Kinderspielzeug, bleibt der Traum von der Million wohl unerfüllt. Auch der silberne Mercedes SLK, der als Poster über dem Bett hängt, bleibt Wunschtraum. Die Realität der Familie Daus sieht anders aus: Sie sind Russlanddeutsche, wohnen mit 300 anderen Aussiedlern im Übergangswohnheim Birkenhof, einem von sechs Übergangsheimen in Augsburg. Dort, wo manchmal Fernseher nach einem Streit aus dem Fenster fliegen, die Mülltonnen im Innenhof zum Himmel stinken und junge Männer auf Russisch, mit einer Bierflasche in der Hand, von einer besseren Zukunft reden.
Aus lethargisch vor dem Fernseher hockenden Männern, die sich nicht integrieren wollen und denen, die stundenlang Deutsch knüppeln, um einen Job zu finden, wird in der Vorstellung vieler Deutscher eine homogene Masse – „die Russen“ eben. Doch so einfach ist das nicht. „Wir werden alle über einen Kamm geschoren“, klagt die junge Russlanddeutsche Eugenia Krenzer. Schubladendenken und eine Integration, die oftmals keine ist, erschweren den rund 33.000 Russlanddeutschen in Augsburg den Alltag.
„Dass der soziale Frieden gehalten hat, war ein Glücksfall. Integration? Damit hat sich lange niemand beschäftigt“, sagt Matthias Garte, Sozialraumplaner der Initiative Augsburg Integration Plus. „Von den 275.000 Augsburgern sind rund 33.000 Aussiedler“, schätzt er. Die Aussiedler kommen aus Russland, aus Ländern der ehemaligen UdSSR. Anfang der neunziger Jahre kamen die meisten Aussiedler nach Augsburg. „Jetzt geht die Zahl kontinuierlich zurück“, erklärt Garte. Einreisen dürfen „Spätaussiedler in eigener Person“ sowie deren russische Ehegatten, Brüder und Schwestern. Spätaussiedler in eigener Person – das sind „die Russen“, die deutsche Vorfahren hatten. Seit 1993 sinkt die Zahl der Spätaussiedler in eigener Person in Bayern kontinuierlich: von rund 14.000 im Jahr 1993 auf rund 3.500 im Jahr 2001. Im Gegenzug steigt die Zahl der Verwandten, die keine deutschen Wurzeln haben: Von 3.900 im Jahr 1993 auf 11.000 im Jahr 2001.
„Integration wird schwer“
Das hat Folgen für die Integration: „Die wird in den nächsten Jahren immer schwerer. Die Zugezogenen haben keine deutschen Wurzeln und passen sich weniger an“, hat Garte beobachtet. So sieht das auch Albert Ziegele (46). Seit sechs Jahren wohnt er im Univiertel, das heute „Russenviertel“ genannt wird. 60 bis 70 Prozent der hier Lebenden sind Russlanddeutsche. „Die haben ganz andere Vorstellungen. Die haben blaue Wolken im Kopf und stehen dann vor einer Wand von Problemen“, sagt Albert Ziegele. Er sagt „die“ – und grenzt sich von „denen, die in den letzten Jahren gekommen sind“, deutlich ab.
„Wir nehmen alles, wie es ist. Aber die...“, seufzt er und ärgert sich darüber, dass die Leute von „den Russen“ sprechen und nicht differenzieren. „Wir mussten uns durchkämpfen. Ich hab` öfter was auf die Schnauze gekriegt“, sagt der Mann, der sich trotzdem nicht unterkriegen ließ. Er machte einen halbjährigen Sprachkurs und suchte sich einen Job; erst am Steuer eines LKWs, jetzt als Straßenbahnfahrer.
Doch es klappt nicht immer mit der Integration. Wer sich nicht eingliedern will, kommt trotzdem gut durchs Leben. Im Univiertel gibt es einen russischen Apotheker, russische Altenpflegedienste, die russische Zeitung „Abendblatt“ und russische Supermärkte. Mayonnaise mit russischen Etiketten, die aber in Hamburg hergestellt wird, aus Russland importierter Wodka oder Sauerkraut steht dort in den Regalen. „Das ist Russland – das hat meine Oma gemacht“, erklärt Regina Jordan, als sie vor dem Regal mit dem Sauerkraut steht. Sie hat einen deutschen Mann geheiratet und kam vor sieben Jahren aus Russland. „Viele Sachen kenne ich auch nicht“, sagt sie und meint kasachisches Gemüse.
Schnaps und Sauerkraut
„Das ist für alte Damen“, sagt die 35-Jährige und zeigt auf kitschige Schwanfiguren, vergoldete Kruzifixe und rosa Decken aus billig glänzendem Stoff. Im Kassettenständer stehen russische Interpreten, im Regal Schnapsflaschen und Bonbons so weit das Auge reicht.
„Wer es schaffen will, schafft es auch“, sagt sie und denkt an Fälle wie Helena Ziegele, die nicht mehr zu Hause sitzen wollte und sich den Traum von der eigenen Schneiderei erfüllt hat. Tatjana Daus dagegen hat auf ihre Bewerbungen nur Absagen bekommen. Sie will eine Lehre zur Konditorin machen. Jetzt wartet sie auf ein Beratungsgespräch bei der Agentur für Arbeit. Schon seit zwei Monaten. (14. Juni 2005)
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