Menschen schlendern durch die schmalen Gassen der kleinen Siedlung, bleiben hie und da stehen, wenn die Informationsstände rechts und links der Wege Interessantes bieten. Da weisen Beratungsstellen auf ihr Angebot hin, ein Verlag stellt russlanddeutsche Literatur vor, Lehrerinnen einer Grundschulklasse berichten vom Umgang mit Schülern aus Aussiedlerfamilien, Mitarbeiter einer Stiftung erläutern ein Stipendienprogramm für Zuwanderer aus Osteuropa, die Landsmannschaft der Russlanddeutschen aus Stuttgart hat eine Ausstellung mitgebracht, die die wechselvolle Geschichte der deutschen Bevölkerungsgruppe in Russland erzählt.
Hunderte sind gekommen zum Tag der Offenen Tür, an dem die Zentrale Aufnahmestelle des Landes Berlin für Aussiedler sich der Öffentlichkeit vorstellt. Fast zwei Millionen Menschen haben seit Kriegsende hier in Marienfelde eine erste Bleibe gefunden – Flüchtlinge, Vertriebene, Kriegsheimkehrer – seit 1964 vornehmlich Aussiedler aus Osteuropa. Heute, da der Flüchtlingsstrom längst verebbt ist und die Aufnahmestelle ausschließlich Aussiedler beherbergt, umfasst das Areal gerade noch die Hälfte des früheren Umfangs: 22.000 Quadratmeter. Dass es in den vielen mehrstöckigen Häusern der Siedlung nur 176 Wohnungen gibt, verwundert auf den ersten Blick. Doch Hildegard Koreck, die stellvertretende Leiterin der Aufnahmestelle, erläutert, dass in den Gebäuden neben Verwaltung und Haustechnik auch noch zahlreiche Gemeinschaftsräume und Beratungsstellen eingerichtet wurden.
Da die Eltern nach ihrer Ankunft in Marienfelde viele Formalitäten zu erledigen haben, nimmt der Kindergarten ihnen manche Sorgen ab. Mehrere Stunden täglich ist ein Jugendklub geöffnet, der zahlreiche Aktivitäten anbietet. Besonders die Computer haben es den jungen Leuten angetan. Olessija, die die Gleichaltrigen im Jugendklub gemeinsam mit Johann betreut, erzählt, häufig stünden die jungen Bewohner Schlange, um rechtzeitig einen Computerplatz zu bekommen, wenn der Klub öffnet. Überhaupt hat sie festgestellt, dass die jugendlichen Aussiedler bei ihrer Ankunft heute bereits recht gut mit dem Computer vertraut sind.
716 Personen können in Marienfelde aufgenommen werden, so viele Betten stehen in den Wohnungen zur Verfügung. Da zuweilen auch gebrechliche ältere Menschen und Behinderte einreisen, sind vier Wohnungen mit einer Rampe für den Rollstuhl, verbreiterten Türen und Installationen ausgestattet worden, die den Aufenthalt in den Räumen erleichtern.
Rund drei Monate halten sich die Ankommenden in Marienfelde auf, dann sind alle Behördengänge erledigt, und sie können eine eigene Wohnung beziehen. Bei der Suche nach geeigneten Räumen hilft eine Wohnungsvermittlung, die ebenfalls in Marienfelde tätig ist. Für viele Aussiedler ist die Aufnahmestelle noch eine Art Schonraum, wo sie fast ausschließlich Menschen aus der alten Heimat treffen, russisch sprechen können und so noch in vertrauter Umgebung leben. Um den Kontakt nicht zu verlieren, bringen viele Eltern später ihre Kinder weiterhin ins „Trollhaus“, den Kindergarten von Marienfelde, wenn sie in der näheren Umgebung eine Wohnung gefunden haben.
Beim Tag der Offenen Tür am 15. April, als der Aussiedlerbeauftragte Hans-Peter Kemper ein Grußwort sprach und ein buntes Unterhaltungsprogramm für Abwechslung sorgte, hielten sich die Bewohner der Siedlung eher im Hintergrund. Lediglich ein paar ältere Frauen hatten auf Bänken am Wegesrand Platz genommen und beobachteten das Treiben, während die Kinder sich nicht dabei stören ließen, auf dem Sportplatz Fußball zu spielen. Hin und wieder schob sich in den Wohnungen eine Gardine zur Seite und neugierige Blicke verfolgten eine Zeitlang die Besucher auf der Straße.
(© ORNIS, 25. April 2005)
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