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22. bis 28. September
“Wusste gar nicht, dass wir wählen dürfen”

Frankfurt am Main – Drei Dinge muss ein CSU-Mann im bayerischen Landtagswahlkampf können: mit viel Bier eine stramme Wertedebatte führen, die heimische Wirtschaft preisen und auf ‚die Roten‘ schimpfen, schreibt die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« (FAS) am 28. September. Arthur Bechert, Listenkandidat des Regierungsbezirks Oberpfalz, beherrsche diesen Dreiklang. Mit Sätzen, die ein wenig nach Kaltem Krieg klingen, verstöre er zwar gelegentlich Parteifreunde. Wenn er aber der strahlende, zukunftsfrohe Mann sei, als den ihn seine CSU-Freunde kennen, könne er vergessen, dass er „kein Einheimischer“, dass er „ohne Heimat aufgewachsen“ sei an einem Ort, der keinen Namen hat, nur eine Nummer: 33.

Der Russlanddeutsche Bechert verlebte seine Kindheit in einem Gebiet, das früher Teil des sowjetischen GULag war. 1990 kam er mit Frau und Sohn nach Deutschland, musste Physikstudium und Promotion wiederholen, seine Frau lernte auf eigene Rechnung Deutsch beim Goethe-Institut, nachdem sie in einen Sprachkurs für Hausfrauen gesteckt werden sollte. Heute werde den Deutschen, die in Russland ausgeharrt hätten, verwehrt, nach Deutschland zu kommen, meint Bechert. Deswegen habe er sich als einer der ersten Russlanddeutschen in der Geschichte der Bundesrepublik entschlossen, für den Landtag zu kandidieren, sagt er der FAS.

Erst habe die CSU ihn nicht gewollt, den Mann aus Russland, der deutscher sein wollte als die Deutschen. „Aber dann muss ihnen doch gedämmert sein, dass Arthur Bechert der Partei Stimmen bringen könnte: Immerhin 14.000 Russlanddeutsche leben im Landkreis“, so die Zeitung. Im Wahlkampf habe er eine „Wahnsinnsenergie“ entwickelt, zitiert das Blatt einen jungen Wahlhelfer. Auf einem Fest der Landsmannschaft habe Bechert den Zeigefinger eines russlanddeutschen Rentners umklammert und auf den Eintrag „Dr. Bechert, Arthur“ gestoßen mit den Worten: „Hier müssen Sie ankreuzen.“ Der Angesprochene wunderte sich: „Wählen? Ich wusste gar nicht, dass wir das überhaupt dürfen.“


SPD macht Migranten Platz

Duisburg – Egal, wie die Kommunalwahlen im nächsten Jahr ausgehen werden, die Duisburger SPD-Ratsfraktion wird eine neues Gesicht erhalten, heißt es in der »Westdeutschen Allgemeinen« am 26. September. Die Partei werde mindestens mit vier politischen „Nobodys“ ins Stadtparlament einziehen – zwei Kandidaten aus zugewanderten Familien und zwei Vertreter der jüngeren Generation. Sie würden auf die attraktiven Listenplätze vier bis sieben gesetzt. Zu den Kandidaten gehört Yulia Shechenko. Die aus der Ukraine stammende Spätaussiedlerin will sich um die Interessen der 10.000 Russlanddeutschen in Duisburg kümmern: „Sie sind nicht gut integriert und orientierungslos.“


Denkmal wird an Aussiedler erinnern

Berlin – Die Zentrale Aufnahmestelle des Landes Berlin für Aussiedler (ZAB) beherbergt derzeit noch 74 Spätaussiedler. 2009 wird die Einrichtung geschlossen, berichtet das Presseportal »OpenPR« am 24. September. Seit 1990 starteten 50.691 Aussiedler hier ihr neues Leben in Berlin. Ihnen will die Erinnerungsstätte mit einer Ausstellung ein Denkmal setzen. Derzeit erarbeiten Studenten des Studienfachs Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität gemeinsam mit Mitarbeitern der Gedenkstätte dafür ein Konzept. Thematisiert werden sollen die Beweggründe der Aussiedler für die Auswanderung, ihre Träume und Hoffnungen für den neuen Lebensabschnitt sowie das Leben im ehemaligen Notaufnahmelager. Von 1953 bis zur Wiedervereinigung Deutschlands durchliefen auch 1,35 Millionen Flüchtlinge aus der DDR das Lager.


Stadtrundgang organisiert

Crimmitschau – In der Kleinstadt Crimmitschau werden bei der Integration von Aussiedlern neue Wege beschritten, schreibt die Chemnitzer »Freie Presse« am 25. September. Zusammen mit dem Verein Wolschanka hätten 16 Frauen und Männer aus Russland, Kasachstan und der Ukraine, die derzeit an einem Deutschkurs teilnehmen, erstmals selbst einen Stadtrundgang organisiert. In deutscher Sprache sei über die Geschichte des Rathauses, der Laurentiuskirche, des Theaters und des Robert-Koch-Platzes informiert worden. „Nur selten musste Kursleiterin Christin Fischer die Aussprache korrigieren“, heißt es in dem Blatt. Die nötigen Informationen für den Rundgang hätten sich die Teilnehmer in den zurückliegenden Wochen in der Stadtbibliothek zusammengesucht.


Karrierechancen in der Osnabrücker Stadtverwaltung

Osnabrück – Seit Jahren engagiert sich der Landkreis Osnabrück für die Integration von Ausländern und Spätaussiedlern. Dafür wurde er jetzt mit dem Niedersächsischen Integrationspreis gewürdigt, berichten die »Osnabrücker Nachrichten« am 28. September. Im Landkreis sei die Einwohnerzahl von 1988 bis 1998 um über 50.000 Menschen, darunter etwa 27.000 Aussiedler, angestiegen. Auch die Stadt Osnabrück habe eine Auszeichnung für ihre Bemühungen um ‚Integration in Ausbildung und Arbeit‘ erhalten. Die Kommune sei vorbildlich, weil sie ihre Verwaltung „interkulturell öffnet und damit gerade jungen Zuwanderern deutlich bessere Einstellungs- und Karrierechancen bietet“, lobte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, bei der Übergabe des Preises.


Bundesverdienstkreuz für soziales Engagement

Berlin – Für ihr jahrelanges soziales Engagement erhält die 54-jährige Isolde Scheffel aus Zühlsdorf im Mühlenbecker Land bei Berlin das Bundesverdienstkreuz am Bande, berichtet der »Oranienburger Generalanzeiger« am 27. September. Die Auszeichnung gilt vor allem ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit für krebskranke Kinder aus Tschernobyl. Dieses Engagement hatte die studierte Außenwirtschafts-Ökonomin schon zu DDR-Zeiten begonnen. Daneben unterstützt Isolde Scheffel als Leiterin des Projekts ‚Alle in einem Boot‘ unter dem Dach des Vereins Trapez in Berlin-Reinickendorf jugendliche Aussiedler auf ihrem Weg ins Arbeitsleben. Zudem wirke sie beim Komitee Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald/Dora mit.


Später mal ein Altenheim für Russlanddeutsche eröffnen

Hamburg – Rita Fiz arbeitet als Einsatzleiterin bei einem mobilen Pflegedienst in Wedel bei Hamburg – ein anspruchsvoller Schreibtischjob, schreibt das »Hamburger Abendblatt« am 27. September. Wenn es personell knapp werde, fahre sie auch selbst raus und kümmere sich um die Alten und Pflegebedürftigen. Nur im Büro sitzen sei nicht ihre Sache. 1995 kam Rita Fiz als Spätaussiedlerin nach Deutschland. Geboren wurde sie in Kasachstan, aufgewachsen ist sie in Tadschikistan. Zum Studium ging sie später nach St. Petersburg. Trotz ihres Abschlusses als Agronomin habe sie in diesem Beruf nie eine Anstellung gefunden. So übernahm sie die Leitung der Abteilung Beschäftigungstherapie in einem Heim für behinderte Kinder in Penza, wohin ihre Eltern und andere Verwandte 1991 vor dem Bürgerkrieg in Tadschikistan geflohen waren.

Als ihre Tochter gerade fünf Jahre alt war, zog sie mit der Familie nach Deutschland. Hier hat sie beruflich „alles Mögliche gemacht“, sagt sie der Zeitung, zum Beispiel sei sie auch Putzfrau gewesen. Weil ihr das auf Dauer nicht genug war, schrieb sie sich an der Universität ein und machte einen Abschluss als Diplom-Pflegewirtin. Am liebsten würde sie sich selbständig machen und ein Altenheim für Migranten aus Russland eröffnen. „Wenn sie alt werden und besonders, wenn sie an Demenz leiden, fallen die russischen Migranten ganz stark zurück in ihre Muttersprache und die Gewohnheiten ihres Herkunftslandes.“ Natürlich habe sie selbst manchmal Heimweh nach Russland. Doch irgendwo anders als in der Nähe ihres geliebten Hamburg zu leben, kann sich die 40-Jährige nicht mehr vorstellen.


„Manche wollen Rezepte haben“

Landau – Nur geübte Hände können den Teig so kneten wie Lydia Litzenberger. Tief graben sich die Hände der Frau mit dem grauen Haarknoten und den hellen Augen in die Teigmasse. Ein Griff zum Nudelholz, den Teig platt walzen, dann ausstechen. Ein Arbeitsschritt geht zügig in den anderen über bei den Aussiedlerfrauen, die jeden Montag in der Küche der Landauer Caritas Speisen zubereiten, heißt es in der »Landauer Neuen Presse« am 23. September. Vorbereitet werden Gerichte, wie sie in ihrer früheren Heimat Russland und Kasachstan typisch sind. Etwa 15 Menschen kommen zum Essen oder Probieren in die Caritas-Stube. Was vor sieben Jahren als Aktion der Migrationshilfe gestartet wurde, ist zum Selbstläufer geworden. „Man lernt viele Leute kennen. Die kommen her und essen und fragen uns auch viel. Manche wollen Rezepte haben“, erzählt eine der Köchinnen, Mathilde Eckert, der Zeitung. Längst würden die Frauen ihre wöchentliche Kochaktion allein organisieren. Ein Teil der Kosten wird durch eine freiwillige Spende gedeckt, die die Gäste in ein rotes Sparschwein auf dem Tisch werfen können. Bis vor ein paar Jahren, erinnert sich Lydia Litzenberger, kamen viele ältere Aussiedler montags zum Essen. Die seien inzwischen alle gestorben. Eine Anlaufstelle für Migranten sei die Caritas-Stube aber geblieben.
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