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„Europäische Siedlungsgeschichte ist unser aller Geschichte“

Politik für Aussiedler und Minderheiten: Fachtagung zieht Bilanz
„Europäische Siedlungsgeschichte ist unser aller Geschichte“ Foto: Hans-Joachim M. Rickel

F o r t s e t z u n g

Doch was sind moderne Minderheiten? Otto Luchterhandt, Rechtswissenschaftler an der Universität Hamburg, ging dieser Frage nach und plädierte dafür, den offiziellen Minderheitenbegriff („ungenau, unscharf und inkonsistent“) zu verfeinern, um der Vielfalt an Minderheiten gerecht zu werden. Die Unterscheidung nach autochthonen – also alteingesessenen – und neuen Minderheiten sei zwar juristisch und integrationspolitisch gerechtfertigt, lasse aber im Blick auf andere Bevölkerungsgruppen zahlreiche Fragen offen.

eine Ausstellung präsentierte die deutschen Minderheiten
Fotos: Hans-Joachim M. Rickel

Russland, wo es offiziell 152 Sprachen gibt, ist in der eigenen Nationalitätenpolitik noch auf der Suche nach dem Kurs. Während die ehedem verordnete ‚Völkerfreundschaft’ sich nach dem Ende der Sowjetunion in manchen Regionen konfliktreich auflöste, nähert sich das Land nach Ansicht von Tatjana Ilarionowa dem auf Vielfalt bedachten westeuropäischen Weg der Minderheitenpolitik an. Die Professorin an der Akademie für Öffentliche Verwaltung in Moskau macht das am Beispiel der russlanddeutschen Bevölkerungsgruppe deutlich.

Das Gesetz über die national-kulturelle Autonomie  gesteht der Minderheit Handlungsfreiheit in eigenen Belangen zu. Dabei habe die Unterstützung Deutschlands eine wichtige Rolle gespielt. Hätte es das Amt des Aussiedlerbeauftragten nicht gegeben, meinte Ilarionowa, „so würde nicht nur die Lage der Russlanddeutschen, sondern auch insgesamt die russische ethno-kulturelle Politik heute anders aussehen“.

Welche Aufgabenteilung fällt nun Deutschland und den jeweiligen Titularnationen in der Sorge um die deutschen Minderheiten zu? Das Beispiel Russlanddeutsche: Einerseits, meint Alfred Eisfeld vom Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Nordosteuropa, liegt es an Deutschland, der Minderheit in Russland, Kasachstan und anderen GUS-Staaten als Wiedergutmachung für erlittene Kriegsfolgen Bildungs- und Qualifizierungsangebote zu machen; bedacht werden müsse zudem die Erforschung und Pflege des kulturellen Erbes eingedenk der Tatsache, „dass es sich um ein Kulturerbe handelt, das sowohl deutsche Wurzeln als auch eine Verortung in Osteuropa, Zentralasien und Sibirien hat“.

Andererseits erinnerte der Historiker daran, dass „die Sorge um die weitere Entwicklung der Deutschen vor allem in die Verantwortung der dortigen Regierungen fällt, denn es handelt sich um Staatsbürger dieser Länder“. Auch wegen der starken Reglementierung ausländischer Organisationen in Russland und wegen der Ungewissheit ihrer Arbeitsfähigkeit wäre es nach Ansicht Eisfelds leichtfertig, ein zu starkes Gewicht auf Leistungen aus Deutschland zu legen.

Für eine allmähliche Übernahme der Aktivitäten deutscher Mittlerorganisationen durch russlanddeutsche Selbstorganisationen setzte sich Heinrich Martens ein. Gleichwohl müssen die Fördermaßnahmen der deutschen Seite fortgesetzt werden, meinte der Leiter des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur in Moskau, nicht zuletzt um die Arbeit der Begegnungsstätten und ihr Angebot zum Erhalt der kulturellen Identität aufrecht zu erhalten. Martens: „Wir sind Augenzeugen einer stufenweisen Herausbildung eines neuen Modells der öffentlichen Selbstorganisation der Russlanddeutschen“, dezentral und organisiert nach demokratischen Mustern.

Alte Minderheiten, neue Minderheiten, Mehrheitsgesellschaften: Bundeskanzlerin Angela Merkel erinnerte in ihrem Grußwort am zweiten Konferenztag daran, „dass die europäische Siedlungsgeschichte unser aller Geschichte ist“. Minderheiten, so die Kanzlerin, haben ein Anrecht, sich in einer Gesellschaft geborgen zu fühlen. Minderheitenpolitik soll der Garant dafür sein. (us)

(Zum Jahresende soll eine Publikation zur Fachtagung vom Oldenburger Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im Östlichen Europa  herausgegeben werden.)

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Audiobeitrag zum Thema
Dr. Otto Luchterhand (Auszug, 2,5 Min/2,5 MB)

Dr. Tatjana Ilarionowa (Auszug, 2 Min./1,94 MB)

Dr. Alfred Eisfeld (Auszug, 6,5 Min/5,9 MB)

Heinrich Martens (Auszug, 1 Min/818 KB)
 
Mehr zum Thema bei ORNIS
- Tagungsbericht der Zeitung RESPUBLIKA aus Komi
 
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Links zum Thema
- weitere Bilder von der Fachtagung

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zum Nachlesen:

Volltext der Referate von
Dr. Tatjana Ilarionowa
und
Heinrich Martens
bei rusdeutsch.eu

Anhang