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„Europäische Siedlungsgeschichte ist unser aller Geschichte“

Politik für Aussiedler und Minderheiten: Fachtagung zieht Bilanz
„Europäische Siedlungsgeschichte ist unser aller Geschichte“ Foto: Hans-Joachim M. Rickel

Vor 20 Jahren wurde das Amt des Aussiedlerbeauftragten eingerichtet - am 28. September 1988. Drei Millionen Angehörige der deutschen Minderheiten sind seither als Aussiedler nach Deutschland gekommen – aus den osteuropäischen Nachbarländern und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Anfang September lud der Aussiedlerbeauftragte Christoph Bergner zu einer Fachtagung nach Berlin ein: Bilanz und Perspektiven.

Berlin, im September 2008 – Die Folgen des Zweiten Weltkriegs sind noch längst nicht Geschichte. Der 28. September markiert ein besonderes Ereignis im Blick auf die Länder Osteuropas und die deutschen Minderheiten dort – auf Versöhnung und Wiedergutmachung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus. An diesem Tag vor 20 Jahren beschloss das Bundeskabinett, für Fragen der Aussiedler einen eigenen Beauftragten einzusetzen. Die Wahl fiel auf den Parlamentarischen Staatssekretär im Innenministerium, Horst Waffenschmidt. Eine Fachtagung aus Anlass dieses Jubiläums, die Anfang September in Berlin stattfand, konnte Waffenschmidt nicht mehr miterleben. Der bislang längst amtierende Aussiedlerbeauftragte starb vor sechs Jahren.

Rund 200 Teilnehmer – Vertreter deutscher Minderheiten, aus Wissenschaft und Fachgremien – waren in der Konrad-Adenauer-Stiftung zusammengekommen, um ebenso Rückschau zu halten wie Perspektiven aufzuzeigen. Immerhin haben sich die Lebensumstände der deutschen Minderheiten in den vergangenen zwei Jahrzehnten beträchtlich gewandelt. Die in der Anfangszeit dringend nötige materielle Unterstützung wie humanitäre Hilfen sind weitgehend neuen Erfordernissen gewichen, „der Förderung und Stärkung der kulturellen und sprachlichen Identität sowie der Fähigkeit zur effizienten Selbstorganisation“. So beschrieb Aussiedlerbeauftragter Christoph Bergner in einem Thesenpapier für die Tagung die anstehenden Aufgaben der Aussiedler- und Minderheitenpolitik.

In den vergangenen 20 Jahren sind rund drei Millionen Menschen als Aussiedler nach Deutschland gekommen – 2,2 Millionen aus Russland und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, 800.000 Personen aus den mittel-osteuropäischen Ländern. In dieser Zeit hat Deutschland für Hilfen in den Herkunftsgebieten knapp eine Milliarde Euro ausgegeben.

 „Zwei Jahrzehnte Politik für Aussiedler und nationale Minderheiten“ – so der Titel der Konferenz – hätten gewiss Anlass geboten, nach Art manch wohlfeiler Jubiläumsveranstaltung mit Geleistetem zu glänzen, Konflikte und Probleme jedoch dem lästigen Alltag zu überlassen. Bergner warb dagegen für Offenheit und hatte bereits zuvor auf integrationspolitische Versäumnisse hingewiesen, etwa in Bezug auf russlanddeutsche Spätaussiedler, deren Status in der Vergangenheit „immer wieder Einschränkungen, Relativierungen und Infragestellungen ausgesetzt war“.

In seiner Eröffnungsrede machte auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble deutlich, dass „längst nicht alle Aufgaben befriedigend gelöst“ seien, und erwähnte die im Verlauf der Konferenz immer wieder angesprochenen Probleme bei der beruflichen Integration von Aussiedlern, bei der Anerkennung von Bildungsabschlüssen und die zuweilen erzwungene Trennung von Familienmitgliedern bei der Ausreise nach Deutschland. Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland vertritt gar die Ansicht, Angehörige der deutschen Minderheit etwa in Russland und Kasachstan stellten häufig keine Ausreiseanträge, weil sie befürchteten, dass die gesetzlichen Regelungen durch das seit drei Jahren geltende Zuwanderungsgesetz ihren Familienzusammenhalt zerstören würden.

Zur Eröffnung sprach Innenminister Wolfgang Schäuble
Foto: Hans-Joachim M. Rickel

Ähnlich argumentierte Altbischof Klaus Wollenweber für die Evangelische Kirche, der den grundgesetzlich verankerten Schutz von Ehe und Familie anmahnte und sich damit für eine liberalere Haltung der Behörden bei Aufenthaltsrecht und bei Anforderungen an Sprachkenntnisse aussprach. Wollenweber: „Warum kann im Sinne der Familienzusammengehörigkeit der Sprachstandstest zur Einbürgerung nicht hier in Deutschland nachgeholt werden?“

Ein so genannter Sprachstandstest wird vom Zuwanderungsgesetz vorgeschrieben, wenn ein Familienangehöriger sich in den Aufnahmebescheid eines deutschstämmigen Aussiedlers aufnehmen lassen möchte. Wie stark sich diese Regelung auf ausreisewillige Familien auswirkt, machte der Präsident des Bundesverwaltungsamtes, Jürgen Hensen, in einem Rückblick auf die Geschichte der Aufnahmepraxis deutlich. In den vergangenen drei Jahren sind über drei Viertel aller Absolventen in den Herkunftsgebieten bei diesen Tests durchgefallen.

„Die Arbeit zur Unterstützung der deutschen Minderheiten in den Herkunftsgebieten wäre ohne die Mittlerorganisationen nicht zu leisten gewesen. Ich darf deshalb stellvertretend für die dabei Engagierten die Teilnehmer der GTZ begrüßen.“

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble
zur Eröffnung der Fachtagung

Die Notwendigkeit deutscher Sprachkenntnisse bleibt unbestritten, wenn Integration in die bundesdeutsche Gesellschaft gelingen soll, aber es gilt auch: „Russlanddeutsche zeigen uns, Sprache kann nicht als Zugehörigkeits-Kriterium verabsolutiert werden.“ Peter Rosenberg, Sprachwissenschaftler an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), unterstrich daher in einem Beitrag über Sprachenvielfalt und Minderheiten die Rolle der Sprache als identitätsstiftendes Mittel und kam zu dem Schluss: „Moderne Minderheiten in Europa werden bilingual und bikulturell sein oder sie werden gar nicht sein.“

Minderheiten praktizieren zwei oder mehr Sprachen, die Angehörigen von Minderheiten sind mehreren Kulturen verpflichtet. Der Grund: „Minderheiten sind in aller Regel nicht homogen geprägt, sondern tragen mehrere ethnisch-kulturelle Identitätsaspekte in sich.“ (Rosenberg)

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Audiobeitrag zum Thema
Grußwort von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (Auszug, 1,5 Min./1,45 MB)

Eröffnung durch Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble (Auszug, 2 Min./1,88 MB)

Dr. Peter Rosenberg (Auszug 1,5 Min/1,31 MB)


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zum Nachlesen:

Jugendwettbewerb

An der Fachtagung nahm auch eine Gruppe Jugendlicher aus deutschen Minderheiten teil – Gewinner eines Aufsatzwettbewerbs zum Thema
„Herausforderung und Auftrag
für die junge Generation
der deutschen Minderheit –
die Jugend als künftige Ideenträgerin“
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Broschüre "Herausforderung und Auftrag ..."