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Jahrhundert der Migranten
Frankfurt am Main – Der Beitrag „Flüchtlinge in Russland im und nach dem Ersten Weltkrieg“ in der „Enzyklopädie Migration in Europa“ macht deutlich, warum das 20. Jahrhundert nicht nur als das ‚Jahrhundert der Konzentrationslager‘, sondern auch als das ‚Jahrhundert der Flüchtlinge‘ bezeichnet werden muss, schreibt die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» am 13. Mai in einer Rezension des Buchs (Klaus J. Bade/Pieter C. Emmer/Leo Lucassen/Jochen Oltmer: Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn 2007). Millionen von Menschen wurden Opfer von Genozid und Massenmord, Deportation, Vertreibung, Um- und Ansiedlung, heißt es in dem Bericht weiter. Unter Stalin wurden zahlreiche nationale Minderheiten verschleppt: Russlanddeutsche, Karatschaier, Kalmücken, Tschetschenen, Inguschen, Balkaren, Krimtataren und turkstämmige Mescheten – rund zwei Millionen Menschen.
Die von den deutschen und niederländischen Historikern herausgegebene Enzyklopädie gibt in 219 Beiträgen einen Überblick über Wanderungsbewegungen in Europa, das historisch-kulturell als Raum von Russland bis Portugal, von Norwegen bis Spanien verstanden werde. Den Einzelbeiträgen sind konzeptionelle Überlegungen der Herausgeber vorangestellt. Unter anderem drücken sie darin ihre Überzeugung aus, Migration gehöre „zur Conditio humana wie Geburt, Vermehrung, Krankheit und Tod; denn der Homo sapiens hat sich als Homo migrans über die Welt ausgebreitet“. Migranten stellten heute rund drei Prozent der Weltbevölkerung.
Eingliederung erleichtern
Hünfeld – Seit 1950 haben sich mehrere Millionen Aussiedler, davon rund 2,5 Millionen aus der ehemaligen Sowjetunion, in Deutschland eingegliedert. Ihre Schicksale und ihre Integration stehen am 18. Mai im Rahmen des Internationalen Museumstags 2008 im Hünfelder Konrad-Zuse-Museum im Mittelpunkt, heißt es am 15. Mai bei «Fulda Info». An diesem Tag werde unter anderem die Wanderausstellung ‚Volk auf dem Weg – Geschichte und Gegenwart der Deutschen aus Russland‘ der Öffentlichkeit vorgestellt. Außerdem werde es Filmbeiträge geben, beispielsweise zum Thema ‚Russlanddeutsche zwischen Zuversicht und Vorurteil‘, Konzerte, Informationen über das deutsche kirchliche Leben im Russischen Zarenreich sowie eine Präsentation von Romanen und Erzählungen russlanddeutscher Schriftsteller. Ziel der Veranstaltung, die von der Stadt Hünfeld und vom Bundesministerium des Innern unterstützt wird, sei es, „das Verständnis für die neuen Bürger zu fördern und damit ihre Eingliederung zu erleichtern“.
„Wir helfen uns selbst“
Leipzig – Unter dem „ur-sächsischen Titel „Andre Länder – Andre Sitten“ fand dieser Tage der 34. Windorfer Abend statt, berichtet die «Leipziger Internetzeitung» am 17. Mai. Mit einigem Recht stelle man sich da eine Veranstaltung in einem „proppevollen Saal mit lauter Einheimischen“ vor, bei der es darum gehe zu zeigen, wie Fremde in Leipzig beziehungsweise in dem Stadtteil Windorf leben. Im jüngsten Quartalsbericht über die Migrantenzahlen in der sächsischen Metropole seien nicht nur die 27.650 offiziell registrierten Ausländer verzeichnet, sondern auch jene Leipziger, die in den vergangenen Jahren eingebürgert worden seien oder in zugewanderte Familien hineingeboren wurden. Die größte Gruppe Zugewanderter aber falle kaum noch einem Zeitgenossen auf: Die Spätaussiedler.
Fast siebentausend haben nach dem Bericht in Leipzig eine neue Heimat gefunden. Polen seien nur noch die fünftgrößte Migrantengruppe in der Stadt, hinter Ukrainern, Vietnamesen und Kasachen, heißt es in dem Online-Dienst. Schalkhaft habe Alexander Gaus, stellvertretender Vorsitzender der Ortsgruppe der Deutschen aus Russland, ein paar der beiderseits gepflegten Vorurteile konterkariert. Mit Hilfe der Paul-Gerhardt-Kirchgemeinde hätten die Russlanddeutschen mittlerweile ein eigenes Begegnungszentrum in Leipzig geschaffen. Denn wirklich hilfreich seien die deutschen Integrationsangebote nicht. „Aber was tun“, habe Gaus gefragt. „Bist du Gottes Sohn, dann hilf dir selbst, haben wir uns gesagt. Und so helfen wir uns selbst.“
So wie früher daheim
Neumünster – Mit gleich 13 Veranstaltungen lockt Neumünster diesmal zum Länderschwerpunkt Russland auf dem Schleswig-Holstein Musik Festivalam 27. Juli, heißt es in den «Kieler Nachrichten» am 15. Mai. Zum Programm gehören Kino, Musik, Geschichte, Literatur und kulinarische Genüsse. Einen ganzen Tag lang können Familien bei freiem Eintritt russische Kultur und Sprache erleben. Und Neu-Neumünsteraner werden ihren Teil zum Programm beisteuern: Russlanddeutsche wollten nachmittags im Museum Tuch + Technik von ihrem alltäglichen Leben „früher daheim“ erzählen.
Massiv unter Druck
Wriezen – Das Hauptproblem sind offenkundig junge, russlanddeutsche Straftäter, die Berlin auf der Grundlage eines Abkommens mit Brandenburg seit kurzem in der Justizvollzugsanstalt Wriezen unterbringen darf, berichtet die «Märkische Allgemeine» am 13. Mai. „Handel, Umschlag und Konsum von Drogen haben zugenommen“, erläuterte der Gefängnisleiter Wolf-Dietrich Voigt. Ein so großes Problem mit den neuen Häftlingen habe er nicht erwartet. Ein Kenner der Szene meinte, jetzt sei die organisierte Kriminalität nach Wriezen „hineingeschwappt“.
Etwa 20 schwerkriminelle Jugendliche hat Berlin nach Wriezen geschickt, rund zehn Prozent aller Häftlinge dort. Subkulturen unter Gefangenen gebe es in jeder Haftanstalt. Doch die Subkultur russlanddeutscher Häftlinge in deutschen Gefängnissen gilt als am stärksten abgeschottet und als besonders brutal. Die strikte Hierarchie bestimme nicht nur, wer wem die Stiefel putze. Wer ganz unten rangiere, müsse sogar damit rechnen, regelmäßig vergewaltigt zu werden. Das System von Angst und roher Gewalt sei zudem nicht auf die Anstaltsmauern begrenzt. Es erfasse auch die Angehörigen, die in Freiheit leben. Auch sie würden massiv unter Druck gesetzt, zum Beispiel bei Besuchsterminen Drogen ins Gefängnis zu schmuggeln.