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Von Viktoria Morasch
Bis dahin war alles sehr einfach und einen Kopf voller Ideen hatte ich auch. Als es allerdings daran ging, diese Ideen zu konkretisieren, kamen die ersten Schwierigkeiten auf.
So kannte ich weder den Titel des Stückes, das ich schreiben wollte, noch wusste ich genau, wovon es handeln sollte, und vom Aufbau eines modernen Theaterstückes konnte ich nur sagen, dass es keine allgemeingültigen Regeln gab. Wo sollte ich also anfangen?
Wie schon so oft, half mir auch bei diesem Problem eine Reise. Im Juni 2007 fuhr ich mit meinem Eltern mit der Bahn nach Moskau, wo wir meinen Bruder besuchten, der dort ein Auslandssemester absolvierte. Schon nach den ersten Metern in jenem russischen Zug, hatte ich das Gefühl in eine andere Welt eingetaucht zu sein. Wahrscheinlich fühlt das jeder, der sich auf Reisen begibt. Für mich allerdings war es die, wenn auch nur kurze, Rückkehr in das Land, aus dem ich im Alter von zwei Jahren mit meiner Familie ausgewandert war. Genauer gesagt, führte unser Weg damals von Kasachstan nach Deutschland, es fehlten also noch etwa 3000 Kilometer in Richtung Osten.
Aber schon die Idee davon, wie es in der damaligen Sowjetunion gewesen sein musste, reichte aus, um mich „aus der Bahn zu werfen“. Denn obwohl ich keine Erinnerungen an jene Zeit habe, war mir alles sehr vertraut und nah. Ich kannte die Sprache, den Humor, den Kleidungsstil. Gleichzeitig aber merkte ich, dass ich nicht Teil dieser Kultur und sie mir trotz aller Vertrautheit auch sehr fremd war. Dieses Phänomen beschäftigte mich über die ganze Reise hinweg und so beschloss ich, mich intensiv und vor allem aktiv damit auseinander zusetzten.
Kurze Zeit später, das war im September, begann also die Arbeit am Text.
Das Stück handelt von einer Russin mittleren Alters, die in Deutschland ein Geschäft für russische Lebensmittel betreibt. Ludmilla, das ist ihr Name, war auf dem besten Weg eine erfolgreiche Schauspielerin in Moskau zu werden, lernte allerdings einen Deutschen kennen, folgte ihm in verliebtem Leichtsinn nach Deutschland und noch bevor sie zurückkehren konnte, war sie schon schwanger. Seitdem redet Ludmilla – wenn sie nicht gerade über die Deutschen schimpft – nur noch von Vernunft, Kontrolle und Disziplin. Vor allem macht sie sich Sorgen um ihre Tochter Xenia, deren Abenteuerlust sie an ihre eigene erinnert.
Eines Tages betritt Siegfried, ein besserwisserischer Student, den Laden. Ein humorvoller und trotzdem bitterernster verbaler Schlagabtausch über die Unterschiede zwischen Deutschen und Russen findet statt, der Ludmilla ein Stück weit aus ihrer Depression reißt. Und auch für Siegfried hat dieses Treffen seinen Vorteil. Er lernt Ludmillas Tochter Xenia kennen. Im Laufe des Stückes kommen sich Siegfried, der sich später als Russlanddeutscher „outet“ und Xenia näher, und um auch Ludmilla kennen zu lernen, lädt er beide ins Theater ein. Die drei Hauptpersonen setzten sich also in die Reihen des Publikums und sehen sich ein „Stück im Stück“ an.
Ludmilla ist hinterher so bewegt und aufgewühlt, dass sie sich ein Ticket nach Moskau löst, um dort wieder ihre Schauspielkarriere aufzunehmen. Und auch Siegfried will fort, weil er sich von Xenia nicht genug geliebt fühlt, die auch verreisen will, allerdings alleine. So treffen sich alle drei in der Schlussszene am Bahnhof. Weinend und vollkommen verwirrt steht Ludmilla am Bahnsteig und für Siegfried gibt es kein Ticket mehr nach Paris. Erst da entdeckt Xenia ihre Mutter und findet eine Lösung für die scheinbar ausweglose Situation. Ludmilla, die in einer Kurzschlussreaktion die Reise nach Moskau kaufte, folgt Xenia ohne Widerrede nach Hause und Siegfried fährt mit ihrem Ticket nach Moskau.
Obwohl der Inhalt und vor allem das Ende, an dem Ludmilla als gebrochene Frau und Siegfried gebrochenen Herzens die Bühne verlassen, auf eine Tragödie schließen lassen, ist das Stück definitiv eine Komödie, was mir das Publikum bei der Premiere mit seinem häufigen Lachen bestätigte.
Obwohl ich es mir mit meiner Facharbeit leichter hätte machen können, bin ich rückblickend sehr froh, dass ich dieses Experiment gewagt habe. Ich konnte durch das Schreiben des Textes, die Regiearbeit und die Schauspielerei nicht nur künstlerisch und kreativ sein, sondern auch mehr über die Geschichte der Russlanddeutschen und somit meiner Familie, und die russische Kultur erfahren.“ (Günzburg Locally)