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Nürnberg, im Dezember 2007 - In der fränkischen Metropole leben 18.000 Mitbürger aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die sich zum evangelischen Glauben bekennen und hier eine neue Heimat suchen. Das Projekt „Heimat für Russland-Deutsche“ liegt in den Händen von Sabine Arnold (46), promovierte Historikerin und Slawistin, die in Nürnberg bereits Erfahrungen in der Arbeit mit Zuwanderern mitbringt.
Zuvor engagierte sich die Journalistin und Autorin im Netzwerk für Zuwanderer und Einheimische „Samowar“ in Geretsried bei München. Diesen Ansatz, wobei Zuwanderer und Einheimische ihr Miteinander als Bereicherung erleben, sieht sie auch bei ihrem Projekt als hoffnungsvollen Ausgangspunkt. Von ihrem Büro in St. Leonhard aus, einem Stadtteil, in dem viele Russlanddeutsche wohnen, wird Frau Arnold Pilotprojekte initiieren sowie Angebote verschiedener Gemeinden koordinieren und vernetzen.
Die Aufgabe des Projektes, russlanddeutschen Aussiedlern den Weg aus dem Fremdsein, aus Enttäuschung oder innerer Zerrissenheit aufzuzeigen, nimmt sie sich sehr zu Herzen: „Viele haben erwartet, in Deutschland eine Heimat zu finden, erleben aber, dass sie hier als Russen gelten und ihre berufliche Qualifikationen auf dem deutschen Arbeitsmarkt oft nicht zählen. In vielen Bereichen ihres Lebens stoßen sie auf Vorbehalte in der Bevölkerung und leider auch in den Kirchengemeinden. Nicht nur die Sprachprobleme sind ein Hindernis, auch die verschiedenen Lebenswege und Wertvorstellungen machen die Begegnung schwierig. Diese Fremdheit abzubauen ist unser Ziel“, sagt Sabine Arnold.
Auf Zweisprachigkeit legt sie dabei besonderen Wert, wie auch auf je eigene Kompetenzen, die Zuwanderer mitbringen, im Musischen oder Künstlerischen etwa. „Das Ziel der Integration kann nicht Eindeutschung sein – so sehr die Beherrschung unserer Muttersprache notwendig bleibt. Ziel ist die Öffnung unserer Gesellschaft für Menschen mit einer anderen Geschichte und einer anderen Kultur“, sagt Rainer Oechslen, Vorsitzender der SinN-Stiftung.
Deshalb appelliert auch die Projektleiterin an die russlanddeutschen Zuwanderer, ihre Tradition und ihre Lebensart in der neuen Heimat nicht abzulegen, weil sie häufig mehr Wärme und Miteinander mitbringen, die in der deutschen Gesellschaft zum Teil verloren gegangen sind und deshalb als Bereicherung erlebt werden können. Gerade mit Zweisprachigkeit will sie Zeichen setzen: Mit eurer Sprache und Kultur seid ihr willkommen, das gehört zu eurer Geschichte – jeder Mensch hat das Recht darauf, seine „ganze Geschichte zu erhalten“.
Sabine Arnold ist die Leiterin des Projekts "Heimat für Russlanddeutsche" |
„Ich empfinde mich als Brücke“, sagt Sabine Arnold. Die Anregung zu ihrer Arbeit verdankt sie der eigenen Familiegeschichte. Ihre Vorfahren mütterlicherseits - der Großvater war evangelischer Pfarrer - mussten 1945 aus Westpreußen vor der Roten Armee flüchten und sich im deutschen Westen neu einleben. Über die unheilvollen Zeiten des Naziregimes wurde in der Familie praktisch nie oder nur in Andeutungen gesprochen. Aus dem Drang zu erfahren, wie es hier und wie es dort war, studierte Sabine Arnold Geschichtswissenschaft und Slawistik an der Bielefelder Universität. Während ihrer Promotionszeit lebte sie in Moskau und arbeitete als freie Rundfunk- und Fernsehautorin und Regisseurin.
Schon damals wurde ihr klar, wie hochwertig die Berufsausbildung in der ehemaligen Sowjetunion war. Über das Projekt „Heimat für Russland-Deutsche“ will sie nun ein Netz knüpfen, das möglichst vielen russlanddeutschen Zuwanderern hilft, ihre Qualifikationen hier nutzbar zu machen, auch wenn sie auf dem Arbeitsmarkt nicht gefragt sind. Gerade durch ehrenamtliches Engagement könne man nicht nur sein eigenes Leben bereichern, sondern auch in den Beruf kommen, weiß sie aus eigener Erfahrung. Integration setzte voraus, dass man nicht bei den Defiziten der Zuwanderer ansetzt, etwa bei ihren mangelhaften deutschen Sprachkenntnissen, sondern bei ihren Stärken.
Das Projekt soll russlanddeutschen Zuwanderern helfen, in den evangelischen Kirchengemeinden Halt und Heimat zu finden, so wie es einst in der alten Heimat war. Schon unter den ersten deutschen Kolonisten an der Wolga und in anderen Regionen Russlands im 18. und 19. Jahrhundert waren die evangelischen Ansiedlungen in der Mehrheit. Zwar brachten die Nachkommen jener Auswanderer, die im 20. Jahrhundert als Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion kamen, ein viel weniger ausgeprägtes Interesse an der Kirche mit. „Auch die deutschen Sprachkenntnisse waren geringer, denn viele hatten nie aktiv Deutsch gesprochen, weil schon Eltern und Großeltern vom strikten Verbot der deutschen Sprache in den Jahren nach 1945 geprägt waren. Trotz meist nur unklarer Vorstellungen vom Christentum meldeten sie sich jedoch bei der Einreise als evangelisch“, sagt Rainer Oechslen.
Frau Arnold will Anregungen geben, um dann die Initiative den Zuwanderern selbst zu überlassen und so mehr Gemeindemitglieder aus der Reserve zu locken: Dabei soll sich keiner als abgelehnt fühlen, weil er die Sprache nicht versteht. Erste Veranstaltungen im Rahmen des Projektes haben schon stattgefunden, und ein kleiner Kreis von ehrenamtlichen Helfern hat sich bereits gebildet. Den Auftakt gab „Weihnachten in der Heimat“ am vierten Advent in deutscher und russischer Sprache.
Die Mathematik-Nachhilfe funktioniert bereits und russlanddeutsche Musiker tragen zur Gestaltung kirchlicher Feste bei. Zum 21. Januar lädt die Gemeinde der Kreuzkirche russlanddeutsche Zuwanderer und andere Interessierte ein, über die Worte der Bibel nachzudenken und einen spannenden Kulturaustausch mitzugestalten. Im Frühjahr beginnt die musikalische Früherziehung in den kircheneigenen Kindergärten. Auch ein deutsch-russischer Musik- und Literaturkreis sowie das Projekt „Lebensgeschichten der Zuwanderer / Interviews“, die später in eine Publikation einfließen sollen, sind geplant.
Anfang Juni will das Projekt mit mehreren Veranstaltungen auf sich aufmerksam machen. Im Mittelpunkt steht die Ausstellung „Ein Russland-Deutsches Haus“, das Einblicke in Leben und Erleben von Russlanddeutschen vermitteln soll. Das Haus hat vier Räume, die symbolhaft die russlanddeutsche Geschichte darstellen: „Die russlanddeutsche Stube“, der „Gedenkraum“, das „Bethaus“ und der „Korridor nach Deutschland“. Ein begleitendes Kulturprogramm schließt zahlreiche Höhepunkte ein, darunter das Russland-Deutsche Theater Niederstetten (Maria und Peter Warkentin mit der Aufführung „Der Weite Weg zurück“), die Kabarettvorstellung von Lilia Tetslau mit „Deutsch... aber immer noch nicht ganz“ sowie eine Lesung mit Eleonora Hummel aus ihrem preisgekrönten Roman „Die Fische von Berlin“. Ein Kochkurs, Chorauftritte und ein zweisprachiges Konzert sollen die Woche abrunden. (Nina Paulsen)
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