Sie sind hier: Startseite ›› Themen und Berichte ›› Politik
Kaliningrad, im Dezember 2007
Frage: Wenn Sie das Kaliningrad von 2001 mit dem gegenwärtigen vergleichen, was fällt Ihnen da ein?
Wunsch: Die Stadt ist wesentlich moderner und selbstbewusster geworden, sie ist von Aufbruchstimmung und von einem Bauboom geprägt, was im Stadtbild derzeit ja wirklich allgegenwärtig ist und der Stadt sehr gut tut. Wenngleich nicht immer im architektonischen Sinne, sondern primär in Bezug auf das Selbstverständnis innerhalb Russlands und im Verhältnis zu seinen Nachbarn, zur EU.
Das war vor fünf Jahren noch längst nicht so. Kaliningrad, das war – zumindest in den Augen der westeuropäischen Presse – die Schmuddelstadt, eine Not-und-Elend-Exklave voll Kriminalität, in der allenfalls HIV- oder TBC-Viren blühten, und in der von den Deutschen alles an Königsberg gemessen wurde. Entsprechend war das Image Kaliningrads in Deutschland oder Westeuropa. Es war schlichtweg im Keller. (…)
Die Stadt beginnt, in der russischen Normalität anzukommen, ohne allerdings ihre besondere Geschichte zu verleugnen. Für die meisten Kaliningrader ist Königsberg ein selbstverständlicher Teil der Stadtgeschichte geworden, man geht hier weitgehend unverkrampft mit diesem Thema um.
Was sollte man auch sonst tun? Die Zeit des Leugnens ist vorbei! Dazu hat sicher auch die 750-Jahrfeier viel beigetragen. Ich bin froh, diese Zeit großer Veränderungen für diese Stadt hier miterlebt und als Direktor des Deutsch-Russischen Hauses auch ein Stückchen aktiv begleitet haben zu dürfen.
Frage: Wo stand und steht in solchen Umbruchszeiten das Deutsch-Russische Haus?
Wunsch: Mittlerweile an dem Platz, der ihm gebührt. Auch da hat sich gottlob vieles normalisiert. Wir waren ja in den ersten Jahren in der Außenwahrnehmung lange eine Art Mischung aus Goethe-Institut und Generalkonsulat, ja man könnte fast sagen, Mädchen für alles, was die Deutschen in Kaliningrad betraf.
Wenn ein Deutscher seinen Pass verlor, einen Unfall hatte oder sonst welche Probleme, wo schickte man ihn hin? Ins Deutsch Russische Haus! Die Leute kamen wirklich mit allen möglichen Fragen zu uns. Das hat uns zwar geschmeichelt, war oft auch ganz spannend und natürlich haben wir geholfen, wo wir konnten. Doch die deutsche Vertretung zu sein war natürlich nicht unsere Aufgabe.
Seit der Amtseinführung des deutschen Generalkonsuls – damals übrigens durch Joschka Fischer im Deutsch-Russischen Haus – hat sich auf diesem Gebiet glücklicherweise viel geordnet. Wir können uns auf unser eigentliches Profil als Dienstleister und Kultureinrichtung für Russlanddeutsche sowie Einwohner – frühere und heutige – und Gäste von Stadt und Gebiet konzentrieren.
Dazu gehören Deutsch-Sprachkurse und Qualifizierung ebenso wie Arbeit mit Jugendlichen im Bereich Gesundheit oder Umweltschutz. Unsere kulturellen Angebote wie Lesungen, inklusive Nobelpreisträger übrigens, Konzerte und Ausstellungen sind für jeden offen, kostenlos, aber nicht umsonst. Und werden von vielen Kaliningradern besucht.
Viele Veranstaltungen führen wir gemeinsam mit dem Generalkonsulat oder auch der Delegation der deutschen Wirtschaft durch, ich denke da an das große Fest zur Eröffnung der Fußball-WM oder den monatlich bei uns tagenden Deutschen Wirtschaftskreis.
Auch Stadtverwaltung und Gebietsregierung sind bei uns regelmäßig mit Veranstaltungen zu Gast. Das Deutsch-Russische Haus ist aus meiner Sicht ein wesentlicher Bestandteil des hiesigen, auch überregionalen Kulturkalenders, und das in einer Selbstverständlichkeit, auf die wir durchaus stolz sein können und es auch sind. (…)
"Die Stadt beginnt, in der russischen Normalität anzukommen, ohne allerdings ihre besondere Geschichte zu verleugnen."
|
Frage: Das Deutsch-Russische Haus könnte man angesichts der Vielfalt seiner Veranstaltungen als eine Art „Haus Europa“ in Kaliningrad bezeichnen, gegründet wurde es allerdings vordergründig als kulturelle Heimstatt der Russlanddeutschen im Kaliningrader Gebiet. Welche Rolle spielt dieses Thema heute noch?
Wunsch: Das ist richtig, als das Deutsch-Russische Haus 1993 gegründet wurde, geschah dies mit dem Ziel, die deutschstämmige Minderheit zu fördern. Anfang der 1990er Jahre zogen viele Russlanddeutsche in das Kaliningrader Gebiet, die meisten von ihnen aus Kasachstan und den ehemaligen mittelasiatischen Sowjetrepubliken. Für diese Menschen sollte das Deutsch-Russische Haus eine Begegnungsstätte sein.
Doch von Beginn richtete sich unsere Arbeit auch an die Menschen der Stadt und die Einwohner des Kaliningrader Gebietes. Nationalität, Glaube, Geschlecht oder Alter spielen bei uns nicht die Hauptrolle! Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Dass das Angebot inzwischen weit über das russlanddeutsche Thema hinaus reicht, ist ja durchaus nahe liegend in dieser Vielvölkerregion Kaliningrad, die als Königsberg fast sieben Jahrhunderte eine vitale Bedeutung im europäischen Geistesleben hatte. Doch mit den Kerninhalten unserer Programmarbeit, vor allem den Deutsch-Sprachkursen, sind wir unserem Gründungsthema treu geblieben.
Heute leben etwa 10.000 Russlanddeutsche im Kaliningrader Gebiet. Da sie nicht nur in der Gebietshauptstadt wohnen, unterstützen wir ein Netz von neun Begegnungsstätten in allen größeren Städten des Gebietes.
Frage: Die Zahl der Ausstellungen, Konzerte in den letzten fünf Jahren ist kaum zu überblicken. Ihre persönlichen Höhepunkte?
Wunsch: Einen bleibenden Eindruck hat sicherlich das Jubiläumsjahr 2005 unter dem Logo des wunderbar restaurierten Königstores hinterlassen. Gefreut habe ich mich auch, die Autorin und Filmemacherin Ulla Lachauer zu einer Lesung ins Haus bekommen zu haben, das war ein großer Wunsch von mir. Sie hat ja mit ihren beiden Büchern „Die Brücke von Tilsit“ und „Paradiesstraße“ zwei der lesenswertesten Titel der letzten Jahre über diese Region bzw. über Russlanddeutsche geschrieben.
Sehr gerne hätten wir auch meinen Lieblingsschriftsteller, den jüngst verstorbenen Walter Kempowski, an den Pregel gelockt. Ein schöner Höhepunkt war auch, dass wir in diesem Jahr anlässlich des Friedens von Tilsit in verschiedenen Projekten nicht nur das Eintreten von Zar Alexander I. für den Fortbestand Preußens, sondern auch die preußische Königin Luise thematisieren konnten. (…)
Meine persönliche Herzensangelegenheit war zudem stets der Ausbau unserer kleinen Bibliothek, die wohl in Kaliningrad ihresgleichen sucht. Doch letztlich dient alles ja vor allem einem Zweck: das deutsch-russische Verständnis ein wenig zu fördern und für Kaliningrad und Königsberg gleichermaßen zu werben.
Frage: Werbung für Königsberg? Eine schwierige Rolle für ein politisch neutrales Deutsch-Russisches Haus in einer russischen Region mit deutscher Geschichte.
Wunsch: Durchaus nicht. Ich finde, gerade das Deutsch-Russische Haus sollte der Geschichte dieser Stadt mit verschiedenen Veranstaltungen ein Forum bieten, das erwarten viele Einwohner Kaliningrads im Übrigen auch von uns. Königsberg, Ostpreußen, das ist Geschichte, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
Geschichte ist nicht minder wichtig als Gegenwart oder Zukunft. Nicht als Selbstzweck, sondern um aus ihr zu lernen. Das ist gerade in einer Region wie dem Kaliningrader Gebiet, in der Vergangenheit jahrzehntelang tabuisiert wurde, sehr deutlich spürbar.
Wir wollen auch in diesem Sinne Begegnungsstätte sein, viele alte Königsberger besuchen unser Haus und treffen sich mit Kaliningradern, andersherum interessieren sich Kaliningrader für die Geschichte ihrer Stadt, kommen in unsere Bibliothek, in Ausstellungen mit Königsberger Themenbezug oder zu den Vorträgen der hiesigen Heimatkundler. (…)
Und ich nehme die Hoffnung mit, dass in diesem Spannungsfeld aus Geschichte und Gegenwart die Chance nicht nur einer bestimmten regionalen Identität, sondern vielleicht auch einer besonderen russisch-deutschen Beziehung wurzelt. (…)
Die neuen Chefs im DRH in Kaliningrad: Viktor Hoffmann (rechts) und Andrej Portnjagin. Foto: th/.rufo/Kaliningrad |
Frage: Zum ersten Mal seit Gründung des Hauses kommt der künftige Leiter nicht mehr aus Deutschland. Ist das ein Zeichen für die Wandlung zum Russisch-Deutschen Haus?
Wunsch: Nein, zunächst einmal wird das Deutsch-Russische Haus künftig zwei Direktoren haben: Viktor Hoffmann, unseren langjährigen Partner und Freund, als ehrenamtlichen Direktor, gewissermaßen als „Bundespräsident“; und Andrej Portnjagin, der als mein bisheriger Stellvertreter ja schon seit Jahren mit dem Thema vertraut ist, quasi als „Bundeskanzler“.
Das ist eine gute und arbeitsfähige Kombination. Mit Viktor Hoffmann kehrt das Deutsch-Russische Haus gewissermaßen zu seinen Wurzeln zurück, denn Viktor ist als Russlanddeutscher seit vielen Jahren mit den Themen der deutschen Minderheit im Kaliningrader Gebiet vertraut. Ich wünsche beiden weiterhin viel Erfolg und ein glückliches Händchen! (Gespräch: Thoralf Plath)
Links zum Thema |
- Das vollständige Interview bei kaliningrad aktuell (Teil 1) - Das vollständige Interview bei kaliningrad aktuell (Teil 2) |