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Ein Kreuz am Straßenrand
Freiburg – Als Johann starb, war er 16 Jahre alt. Er fuhr auf dem Fahrrad neben dem Brückengeländer einer stark befahrenen Straße nahe dem Freiburger Hauptbahnhof, als ein BMW mit 50 Stundenkilometer ungebremst auf ihn zukam, und ihn durch den Aufprall so stark verletzte, dass er, wie Mediziner später sagten, sofort tot war. So habe er auch nicht mehr gelebt, als er durch den Zusammenprall mitsamt Rad über das Brückengeländer sechs Meter tief auf eine Bundesstraße darunter fiel. Dort hätten alle Autos rechtzeitig bremsen können, so dass der Leichnam nicht auch noch überrollt wurde. Johann war Spätaussiedler und ist vor einigen Jahren mit seiner heute 42 Jahre alten Mutter Erna Stumpf und seinem jüngeren Bruder Nick aus dem kirgisischen Tokmak nach Deutschland gekommen. Der Vater blieb in Kyrgyzstan, berichtet die «Badische Zeitung» am 20. September. Zwei Jahre liegt der Unfall nun zurück. Der Verursacher kam ohne Blessuren davon. Der 51 Jahre alte Rechtsanwalt aus Freiburg hatte am Steuer eine akute Unterzuckerung erlitten und die Kontrolle über sein Auto verloren. Obwohl ihm ähnliche Anfälle schon häufig passierten, ist er bislang offenbar recht locker damit umgegangen. Im Verfahren um den tödlichen Unfall sah der Staatsanwalt allerdings vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung oder gar des Totschlags ab. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt und der Unfallfahrer erhielt seinen Führerschein zurück. Der Anwalt von Johanns Mutter hegt den Verdacht, „dass hier das Justiz-Establishment der Stadt zusammenhält, um einen der seinen gegen eine mittellose Russlanddeutsche abzuschirmen“, schreibt die Badische Zeitung.
Mit „Nadel und Faden“ einen Traum erfüllt
Bad Wildungen – Alles, was Margarita Scherbina in der ersten Zeit in Deutschland zu hören bekam, war: Du hast nur zwei Möglichkeiten - putzen oder pflegen.“ Vor fünf Jahren kam die jetzt 46-jährige Russlanddeutsche mit ihren Eltern, dem Bruder und zwei eigenen Kindern nach Bad Wildungen. „Alles war fremd, ich war so verwirrt“, erinnert sie sich an jene Zeit, als auch ihr Deutsch noch schlecht war. Putzen wollte sie nicht, das war ihr klar. Immerhin hatte sie zuletzt in Russland nach dem Studium von Kunst und Arbeitslehre als Leiterin einer Schneiderei und schließlich in der Modebranche gearbeitet. Schon von Kindesbeinen an habe sie mit Nadel und Faden arbeiten wollen, berichtet die «Hessisch/Niedersächsische Allgemeine» am 20. September. Über die Stelle bei einer Raumausstatterin klappte es schließlich auch in Deutschland. Im Juni 2004 begann sie, nebenher zu schneidern, im Dezember kaufte sie zwei gebrauchte Nähmaschinen, und weil immer mehr Kunden kamen, eröffnete sie im März 2005 ihr Atelier „Nadel und Faden“. Inzwischen bildet sie einen Lehrling aus und beschäftigt eine junge Schneiderin, weil sie mit den vielen Aufträgen alleine nicht mehr fertig wird.
„Das Boxen hat mir geholfen“
Kiel – "Das Boxen hat mir besonders bei der Suche nach Freunden sehr geholfen", erzählte Marina Meng. Die 23-Jährige kam 1998 aus Sibirien nach Deutschland. Im Jahr 2005 wurde sie Deutsche Meisterin in der Schwergewichtsklasse der Frauen bis 75 Kilogramm und ist dazu auch noch eine von nur drei Lizenz-Boxtrainerinnen im Land, heißt es in den «Kieler Nachrichten» am 20. September. Heute studiert die Spätaussiedlerin Landwirtschaft in Kiel. Dass Sport sich eignet, Zuwanderer zu integrieren, hat sich inzwischen herumgesprochen. Sport spricht alle Sprachen, mindert Aggressivität ab und „baut Brücken“, weiß auch Ekkehard Wienholtz, Präsident des Landessportverbandes von Schleswig-Holstein, dessen Projekte und Angebote wöchentlich rund 4.000 Zuwanderer und sozial benachteiligte Jugendliche erreichen. Wienholtz sprach vor knapp 80 Gästen in der Kieler Kunsthalle bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Integration durch Sport“. Teilnehmer waren der Innenminister des Bundeslandes, Ralf Stegner, Sozialministerin Gitta Trauernicht, Vertreter von Jugendverbänden und aktive Spitzensportler wie die Boxerin Marina Meng.