Sie sind hier: Startseite ›› Wochenrückblick ›› 2006
Eingewöhnung
Kyritz – Als immer mehr Spätaussiedler im brandenburgischen Kyritz den Wunsch vorbrachten, einen eigenen Treffpunkt zu haben, kam Nataliya Schmidt auf die Idee, einen Verein zu gründen. Seit dem Jahresende hat „Flämmchen e.V.“ übergangsweise einen eigenen Raum, berichtet die «Märkische Allgemeine» am 2. Januar. Unter sich zu sein, weiß Nataliya Schmidt, bedeutet auch, Mut zu fassen, auf andere zuzugehen und die anfangs fremde Umgebung in Deutschland langsam anzunehmen. In einem ist die Vereinsvorsitzende allerdings unerbittlich: „Wir sind nach Deutschland gekommen, wollen hier leben. Also müssen wir auch diese Sprache lernen, die Deutschen nicht unsere.“
Ungewöhnliche Ankunft
Bönen – Vor über zwei Jahrzehnten war Vadim Neselovskyi als 17-Jähriger gemeinsam mit seinen Eltern aus Odessa nach Deutschland ausgesiedelt – heute gilt er als einer der gefragtesten Pianisten der Jazzszene Europas und der USA. Während einer Europa-Tournee tritt der heute in New York lebende Musiker auch in der Ortschaft Bönen bei Unna in Nordrhein-Westfalen auf. Hier hat er die ersten Jahre in Deutschland verbracht. Nach einem Bericht des «Westfälischen Anzeigers» vom 6. Januar staunte man damals bei der Ankunft der Familie im Lager Unna-Massen nicht schlecht, als wohl zum ersten Mal eine Aussiedlerfamilie mit einem Klavier nach Deutschland kam. Vadim Neselovskyi erinnert sich: "Aber der Hausmeister war Musikliebhaber und drückte mir gleich die Noten von ,My way' in die Hand. Tja, und da musste ich spielen, nach ein paar Minuten in Deutschland."
Katholiken an der Wolga
Zürich – Seit 1999 gibt es für die 35.000 Katholiken an der Wolga wieder ein Bistum mit einem Bischof an der Spitze – die „Diözese St. Clemens“. Derzeit hält sich der aus Deutschland stammende Bischof Clemens Pickel in der Schweiz auf, um über seine Wahlheimat und die Sorgen der katholischen Kirche im heutigen Russland zu berichten. Die «Neue Zürcher Zeitung» berichtet am 4. Januar, der 1961 in Sachsen geborene Theologe sei nach der Wende zunächst nach Tadschikistan gegangen und lebe seit 1991 an der Wolga. Sorge bereitet dem Kirchenmann die Abwanderung von Russlanddeutschen nach Deutschland, wodurch die Gemeinden stark dezimiert worden seien. Im Gebiet Saratow habe er allerdings Ortschaften mit deutscher Bevölkerung angetroffen, die nahezu ausschließlich katholisch sei.
Neuland
Braunschweig – Monatelang hat die Caritas-Mitarbeiterin Ute Scupin mit jungen Russlanddeutschen debattiert, bis sich schließlich eine junge Frau und ein junger Mann bereit fanden, über ihre Erfahrungen in Deutschland zu berichten – vor der Kamera. Entstanden ist ein Neun-Minuten-Portrait mit dem Titel „Neuland“. Die «Braunschweiger Zeitung» berichtet am 5. Januar, der Film handele von zwei jungen Menschen, die nach allerlei Rückschlägen „lernen, sich auf die neue Situation einzustellen, wie sie beharrlich an ihren Zielen festhalten“. In der Tat muss der Start in ungewohnter Umgebung schwer gewesen sein. So sagt Aleksej Michel aus Kyrgyzstan über die ersten Monate im Deutschkurs: „Ich habe nur gedacht, ich packe sofort meine Sachen und fahre wieder weg.“ Und die 16-jährige Katarina Schäfer lernte zwar schell die neue Sprache, „doch mich nervte zunächst alles, die ganze Umgebung, die Sauberkeit, die ganzen Gesetze“.
Sportlich
München – Vitali Tajbert, im Sommer 2004 Boxliebling der Nation bei den Olympischen Spielen in Athen, ist zu den Berufsboxern gewechselt. Der aus Kasachstan stammende Sportler, der damals eine Bronzemedaille gewann, bleibt indes seinem Wahlspruch treu: „Ich brauche keinen Porsche. Gesundheit ist wichtiger.“ Nach einem Bericht des «Münchener Merkur» vom 6. Januar hätte der 23-Jährige derzeit auch keine Verwendung für einen Sportwagen, da er für einige Zeit auf seinen Führerschein verzichten muss („bin ein bisschen zu schnell gefahren“). Der neue Profi im Superfedergewicht hält indes die angebliche Amateurtugend hoch, „schnell wie eine Kalaschnikow“ zu sein.
Spendenaufruf
Dienheim – Andrej war vier Jahre alt, als seine Eltern 1992 mit ihm, seiner Schwester Inna und Zwillingsbruder Aleksej Russland verließen. Andrej ist seit seiner Geburt schwer behindert, kann nicht sprechen, ist auf einen Rollstuhl und stets fremde Hilfe angewiesen. Doch glücklicherweise kann er bei seiner Familie leben, berichtet die «Allgemeine Zeitung» am 7. Januar, da Vater Valeri Bähr alles daran gesetzt hat, für seine Familie ein Haus zu bauen, in dem auch Andrej leben kann: behindertengerecht. Längst ist das Haus noch nicht fertig, und auch die Kosten für den Bau belasten die Familie schwer. Damit der inzwischen 17-Jährige auch weiterhin mobil sein kann, benötigt die Familie für ihr Fahrzeug eine Hubvorrichtung, um Andrejs Rollstuhl leicht ins Innere zu heben. Doch das überfordert das Budget der Bährs beträchtlich. Daher ruft der Verein „Mobil mit Behinderung“ zu Spenden auf.
Bluttat
Nördlingen – Ein 59-jähriger Mann aus Nördlingen hat vermutlich in der Neujahrsnacht einen 20 Jahre jüngeren Mann im Streit schwer verletzt und seinem Schicksal überlassen, so dass das Opfer nicht mehr gerettet werden konnte. Das berichtet die «Heidenheimer Zeitung» am 4. Januar. Arnold B., der 1992 aus Kasachstan nach Deutschland kam, gilt als Gewalttäter und hat bereits sieben Jahre im Gefängnis gesessen, weil er 1996 seine Ehefrau totgeschlagen hat. Nach Angaben seines Anwalts war der mutmaßliche Täter zum Jahreswechsel so betrunken, dass er sich nicht mehr an die Ereignisse erinnere.
Zu guter Letzt
Berlin – Auf nahezu ungeteilte Kritik und Ablehnung in der Presse stößt der so genannte Gesprächsleitfaden, mit dem das Innenministerium von Baden-Württemberg Zuwanderer muslimischen Glaubens und andere auf ihre Integrationsfähigkeit prüfen will. Die Berliner «Tageszeitung» (taz) veröffentlicht am 7. Januar einen Fragenbogen, den der stellvertretende Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde, Seref Erkayhan, als Entgegnung auf die „diskriminierende und beleidigende Behandlung“ erarbeitet hat. Darin heißt es unter Punkt 6.: „In bestimmten Milieus herrscht ein gravierendes Ausmaß an häuslicher Gewalt – in russlanddeutschen beispielsweise weit stärker als in anderen. Haben Sie auch Russlanddeutsche befragt, als sie in die Bundesrepublik einreisten?“