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„Fremd?!“
Rotenburg – Über zwei Millionen Spätaussiedler leben seit Beginn der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland, und viele Jugendliche seien zuvor nicht gefragt worden, ob sie überhaupt in die Bundesrepublik ausreisen wollten, meint die «Rotenburger Rundschau» am 5. Dezember. Wie fühlen sie sich in der neuen Heimat, was denken sie über die eigene Situation? Selten kommen junge Aussiedler selbst zu Wort. Doch das soll sich ändern. Der Literaturkreis der Deutschen aus Russland und der Geest-Verlag im nordrhein-westfälischen Vechta hat russlanddeutsche Jugendliche im Alter von zwölf bis 20 Jahren aufgerufen, ihre Meinung zum Thema „Wir sind Fremde?!“ aufzuschreiben und einzuschicken. Aus den russisch- oder deutschsprachigen Beiträgen, seien es Gedichte, Briefe, Tagebuch-Eintragungen oder frei erfundene Erzählungen soll ein Buch entstehen, das im Herbst 2006 erscheinen wird.
Konflikt beigelegt
Paderborn – Im Konflikt zwischen der nordrhein-westfälischen Schulbehörde und russlanddeutschen Baptisten gibt es endlich eine Lösung. Hauptsächlich aus religiösen Gründen hatten sich sieben aus Kasachstan zugewanderte Spätaussiedlerfamilien teils seit 2003 geweigert, ihre Kinder auf die Grundschule zu schicken, berichtet der «Spiegel» am 8. Dezember. Die Eltern wollten ihren schulpflichtigen Nachwuchs zu Hause selbst unterrichten, was in Deutschland nicht erlaubt ist. Begründet haben sie den Schulstreik unter anderem mit dem Hinweis, im Sexualkunde-Unterricht an öffentlichen Schulen würden die Kinder „geradezu sexuell stimuliert“. Bußgelder und die Androhung, den Eltern das Sorgerecht zu entziehen, führten monatelang nicht zum Erfolg. Nun besuchen die Kinder eine „Freie Christliche Schule“ in Heidelberg, die in Baden-Württemberg als Ersatzschule anerkannt ist. Zwei Familien zogen nach Österreich, wo der Unterricht zu Hause gestattet ist.
Deutschunterricht
Pirmasens – Ihr ganzes Berufsleben lang und weitere 17 Jahre danach hat Martha Hollinger Deutsch unterrichtet. Seit ihrer Pensionierung als Lehrerin einer Realschule in Pirmasens kamen hauptsächlich Zuwanderer in ihren Sprachkurs, der in all den Jahren „so gut wie nie ausgefallen ist“, erinnert sie sich beim endgültigen Abschied vom Unterricht. Die 81-Jährige will jetzt etwas kürzer treten, berichtet die «Pirmasenser Zeitung» am 5. Dezember von der Abschiedsfeier der Lehrerin. Unter ihren Schülern seien zahlreiche Russlanddeutsche gewesen. Sie haben in den Unterrichtsstunden „vieles von den oft nicht einfachen Lebensumständen der Menschen erfahren und von ihrem Leben in ihrer Heimat“, sagte Hollinger, die 2004 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden war.
Jugendhaus
Hohenlohe – Rund zwei Jahre lang haben russlanddeutsche Jugendliche im baden-württembergischen Hohenlohe auf die Bewilligung der Gelder gewartet. Mitte September war es soweit, wie die «Heilbronner Stimme» am 9. Dezember berichtet. Für ein Jugendhaus, das vom örtlichen Deutschen Roten Kreuz (DRK) beantragt worden war, gab das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 300.000 Euro frei, verteilt auf drei Jahre. Seit kurzem können die jungen Spätaussiedler die beiden Räume und die Küche nutzen, die in der ehemaligen Werkstatt eines Taxiunternehmens eingerichtet wurden. Begleitet von einer Pädagogin üben hier ein Chor, eine Tanz- und eine Bastelgruppe, und zwischendrin gibt’s Computerkurse. Für den DRK-Kreisvorsitzenden und Hohenloher Landrat Helmut Jahn soll das Jugendhaus, dem die Russlanddeutschen den Namen „Möve“ gegeben haben, die neue Einrichtung hauptsächlich dafür da sein, den Jugendlichen Raum für gemeinsame Aktivitäten zu geben und „der Gewalt vorzubeugen“.
Russlanddeutsches Schwergewicht
Schwerin - Ob es der Schweriner Boxsportclub schaffen wird, sich in die Oberliga zu boxen, wagt noch keiner der jungen Sportler zu hoffen. Gerade erst erholen sich die schweren Jungs vom Abstieg aus der Bundesliga, die der Club vor fünf Jahren hinnehmen musste, schreibt die «Schweriner Volkszeitung» am 7. Dezember. Der Erfolg hängt möglicherweise auch davon ab, ob das Schweriner Boxtalent Edmund Gerber zurückgewonnen werden kann. Der 17-jährige Russlanddeutsche, der im Sommer Kadetten-Europameister wurde, hat Schwerin im Oktober „Knall auf Fall“ verlassen, berichtet die Zeitung. „Wir halten ihm die Tür offen“, lässt ihn ein Trainer über die Zeitung mitteilen.
Nachahmenswert
Wiesbaden – Über die Hälfte der Bewohner im Wetzlarer Stadtteil Niedergirmes sind Russlanddeutsche und Türken. „Bei uns gab es schon eine Parallelgesellschaft“, berichtete Harald Würges, Mitglied im örtlichen Nachbarschaftszentrum. Es sei aber gelungen, die Zuwanderer in Wetzlar zu integrieren, und einen Ort zu schaffen, wo sich die unterschiedlichen Nachbarn kennen lernen, gemeinsam Deutsch lernen und miteinander arbeiten, schreibt die «Main-Spitze» am 7. Dezember. Das Nachbarschaftszentrum ist mittlerweile eines der drei „nachahmenswerten Projekten“ in Hessen. Unter dem Motto „Land und Kommunen – Hand in Hand für eine gute Integration“ sollen in dem Bundesland solche Projekte für Zuwanderer jetzt vernetzt werden. Dazu gehört auch das Modellprojekt „Frühstart“, das in der Landeshauptstadt Wiesbaden Kinder von Zuwanderern bereits im Kindergarten Sprachförderung ermöglicht.
„Weltpolitik hautnah“
Weiden – Zwei Übergangswohnheime für frisch zugezogene Spätaussiedler und jüdische Kontingentflüchtlinge gibt es im bayerischen Städtchen Weiden. Sie sind nicht einmal mehr zu einem Drittel belegt. Für Martin Wallinger, Leiter der regionalen Aufnahmestelle für die Oberpfalz, endet langsam eine fast 15-jährige Phase, in der er „Weltpolitik immer hautnah“ erlebte, wie «Oberpfalznetz» am 9. Dezember in seinem Online-Dienst berichtet. 1989 war Weiden die zentrale Verteilungsstelle für Übersiedler aus der DDR. Dann kamen Kriegsflüchtlinge aus Bosnien, später aus dem Kosovo und schließlich Spätaussiedler und jüdischen Kontingentflüche aus der ehemaligen Sowjetunion. Knapp 48.000 Personen hat er in den Übergangswohnheimen der Oberpfalz ein vorläufiges Quartier gegeben. In diesem Jahr kamen nur noch 548 „Neue“, wie es im Netz-Dienst heißt.
Zu guter Letzt
Hunderdorf – Späte Reue zeigte ein Räuber, der im niederbayerischen Hunderdorf eine Tankstelle überfiel. Nach einem Bericht der «Passauer Neuen Presse» vom 6. Dezember hatte ein maskierter Mann die Kassiererin mit einem Messer bedroht und das gesamte Bargeld gefordert. Die Frau jedoch erkannte den 22-jährigen Aussiedler und redete auf ihn ein: „Hör doch auf und mach keinen Scheiß.“ Daraufhin ließ der Täter von seinem Vorhaben ab, entschuldigte sich bei der Kassiererin und verließ den Tatort, nicht ohne noch eine Versöhnungszigarette mit seinem Opfer zu rauchen. Später wurde er von der Polizei festgenommen.