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Potential
Köln - „Wir wollen nicht in das Wehklagen vieler anderer einfallen, sondern uns auf das ungeheure Potenzial der russischsprachigen Zuwanderer konzentrieren.“ Mit diesen Worten von Joachim Hochdörfer von ´Phoenix`, einer Selbsthilfeorganisation zur Eingliederung der russischsprachigen Bevölkerung, wurde in Köln eine Veranstaltung eröffnet, an der unter anderem Landespolitiker, Gewerkschafter und Wirtschaftsgrößen teilnahmen. Wie der «Kölner Stadtanzeiger» am 29. Oktober berichtet, leben in Nordrhein-Westfalen rund zwei Millionen Zuwanderer, davon 800.000 Russlanddeutsche. Die Integration dieser Menschen sei der „wichtigste Standortfaktor der Zukunft“, sagte ein Vertreter der Industrie- und Handelskammern des Bundeslandes. Er „kämpfe“ für „eine Nachakademisierung der akademisch ausgebildeten Spätaussiedler“. Es sei auch höchste Zeit darüber nachzudenken, wie man Lehrern aus der ehemaligen Sowjetunion in Deutschland Zugang zu ihrem Beruf erleichtern könne.
Auf Durchreise
Hennef - Im kommenden Frühjahr werden sie nach Kanada auswandern - der Heizungsmonteur Harry Bebernik, seine Frau, die dreijährige Tochter und der sechs Monate alte Sohn. Die Einwanderungspapiere haben sie schon in der Tasche. Sie sind nur eine von vielen Aussiedlerfamilien, schreibt der «Kölner Stadtanzeiger» am 27. Oktober, die in jüngster Zeit im Rhein-Sieg-Kreis ihre Koffer gepackt haben, um in dem nordamerikanischen
Land eine neue Perspektive zu finden. Jakob Töws, ein Russlanddeutscher, der schon sechs Jahre in Kanada lebt, berichtete der Zeitung, immer mehr Aussiedler wollten nachkommen: „Wir sprechen schon von einer Epidemie. Viele rufen aus Deutschland an und wollen wissen, wie es uns geht.“ Auch Johannes Emig aus Siegburg will sich auf den Weg machen. „In der Sowjetunion“, sagte er dem Stadtanzeiger in einem Telefongespräch, „waren wir die Faschisten und in Deutschland die Russen. Vielleicht können wir in Kanada endlich Deutsche sein.“
Einspielen
Potsdam - Früher in Russland war Michail Ganevskij ein gefragter Cellist. Jetzt lebt er in Potsdam und ist arbeitslos. Seit er aber im Kammer-Ensemble Arpeggiato spielt und täglich mehrere Stunden gemeinsam mit sechs Musikerkollegen proben kann, die alle aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland ausgesiedelt sind, fühlt er sich besser aufgehoben in der neuen Heimat, berichten die «Potsdamer Neuesten Nachrichten» am 27. Oktober. Dass sie überhaupt gemeinsam musizieren und so ihr Arbeitslosengeld ein wenig aufbessern können, verdanken sie Peter Döbber vom Verein für Arbeitsmarktintegration und Berufsförderung. Er hatte die Idee zum Künstlerprojekt und sorgt nun dafür, dass sich, wie er hofft, die Musiker in der Potsdamer Kulturszene etablieren. Immer Freitags erteilt er seinen Schützlingen Sprachunterricht, macht sie mit den Gepflogenheiten in Deutschland vertraut und führt Bewerbungstrainings durch.
Gemeindeleben
Pfungstadt - Dieses Wachstum hätten die ersten Gemeindemitglieder nie erwartet. Als sich die ersten 22 Russlanddeutschen vor 30 Jahren in Pfungstadt versammelten, um eine eigene Baptisten-Brüdergemeinde zu gründen, schreibt das «Darmstädter Echo» am 25. Oktober, reichte ein angemieteter Raum in der hessischen Kleinstadt. Dann wuchs die Kirchengemeinde rasant.
1979 bauten sie auf eigenem Grundstück ein neues Gemeindezentrum, das Platz für 850 Menschen bietet. Vor drei Jahren kam ein Anbau hinzu, in dem vor allem Raum für jugendliche Russlanddeutsche geschaffen wurde. Ende Oktober feierten die baptistischen Aussiedler den 30. Jahrestag ihrer Kirchengründung mit einem „Tag der offenen Tür“. Viele einheimische Pfungstädter nutzten den Anlass, zum ersten Mal einen Blick in das Gemeindeleben zu werfen.
Rache
Lübeck - Aus Rache für schlechte Schulnoten haben zwei russlanddeutsche Brüder in der norddeutschen Kleinstadt Ahrensburg eine Lehrerin erstochen.
Der 18-jährige Alex O. fühlte sich ungerecht behandelt und fürchtete um seine geplante Karriere bei der Bundeswehr. Sein 21-jähriger Bruder Witali führte die tödlichen Messerstiche aus, als er gemeinsam mit Alex die Lehrerin in deren Wohnung aufsuchte, wie die «Berliner Morgenpost» am 27. Oktober berichtet. Die Tat fand im Januar statt, jetzt erging im Lübecker Landgericht das Urteil. Der Ältere muss für acht Jahre und neun Monate ins Gefängnis, der Jüngere erhielt eine Haftstrafe von drei Jahren und zehn Monaten. Die Beiden, schreibt die Zeitung, nahmen das Urteil scheinbar unbeteiligt auf.