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Banker und Bauern

Deutsche in Lettland

Riga (ORNIS) - Eine deutschstämmige Minderheit gibt es in Lettland nicht mehr, obwohl die Zahl der Deutschen in dem baltischen Land beträchtlich ist. Die in Vilnius erscheinende „Baltische Rundschau“ hat in einer Serie zu Minderheiten in den baltischen Ländern das Thema aufgegriffen und kommt zu dem Schluss, dass „deutsche Spuren und Einflüsse künftig nur noch (….) in Architektur, Literatur, Kunst oder Musik“ zu finden sein werden.


Von Markus Häfner

„Was sagen Sie, wenn Sie auf der Straße als ´Russin` bezeichnet werden?“ Ein Schmunzeln huscht über die Lippen von Lydia K. und ihre Augen zwinkern lustig: „Wissen Sie, Herr Pastor Grahl, denen sage ich einfach: Ihr müsst noch viel, viel lernen...“

Mit ihren 69 Jahren hat sie schon vieles gehört – und anschließend vergeben. Lydia K. wurde 1936 in der Ukraine geboren. Als Deutsche, wie sie sagt. Auch wenn sie die deutsche Sprache heute nur noch selten spreche. Im Krieg musste sie mit ihrer Familie erst nach Polen fliehen und kurz darauf nach Deutschland. 1945 sei sie mit ihrer Mutter nach Nowosibirsk verschleppt worden. Dort wuchs sie auf, lebte in einem Raum, den sich sieben Familien teilen mussten. Einziger Vorteil: Im Winter bei Minus 40 Grad wurde es nicht so kalt. In Sibirien hatte man Russisch zu sprechen.

1954 durfte die 18-Jährige dann zu ihrer Schwester nach Riga reisen, wo sie bis heute lebt. In der Schule lernte sie Puschkin und Tolstoi lieben. Russisch, das war – unfreiwillig – die Sprache ihrer Kindheit, und es war natürlich die verordnete Sprache während der sowjetischen Okkupation Lettlands. „Aber immer wenn Weihnachten ist, dann kann man doch nicht anders sein als deutsch“, sagt Lydia lächelnd und denkt an Gebäck und deutsches Liedgut.

Schicksale hinter Schubladenbegriffen

Ihr bewegtes Leben, das sie an einem Sonntag im Mai dieses Jahres dem deutschen Pfarrer Martin Grahl erzählt, ist eines der vielen Schicksale, die hinter Schubladen-Begriffen wie „Russin“, „Deutsche“, „Russlanddeutsche“ oder auch „Ukrainedeutsche“ stehen, mit denen Lydia allesamt schon tituliert wurde. Zutreffend und doch jeweils nur Teil der ganzen Wahrheit.

Und es endet keineswegs bei der Hin- und Hergerissenheit zwischen zwei Kulturen. Dass sie kaum ein Wort Lettisch spricht, wird ihr heute oft zum Vorwurf gemacht. Teils berechtigt, teils aus Unwissenheit und einem allzu flüchtigen Blick auf die pluralistische Gesellschaft von heute.

Seit dem 13. Jahrhundert wurde Lettland in seiner wechselvollen Geschichte stark von deutschen Einflüssen geprägt. Architektonisch erinnern in Riga viele mittelalterliche Bauten an Zeiten der Hanse, des Deutschen Ordens und Bischofs. Die lange livländisch-kurländische Adelstradition auf dem Lande wird noch heute durch zahlreiche Gutshäuser belegt.

Heute leben wieder viele Deutsche in Lettland. Die meisten sind allerdings erst nach 1991 aus beruflichen oder privaten Gründen hierher gezogen und haben keine familiären Wurzeln im Baltikum. Zum Beispiel Martin Grahl, der als Auslandspfarrer für insgesamt fünf Jahre die deutschsprachige evangelisch-lutherische Kirche in Lettland leitet. Ähnlich wie er haben derzeit etwa 400 Geschäftsleute, Banker, Diplomaten oder Landwirte Lettland vorübergehend oder dauerhaft zu ihrer Wahlheimat bestimmt.

Es gibt allerdings auch Rückkehrer, wie den Verleger Harro von Hirschheydt, der mit seiner Frau ins lettische Aizpute (früher: Hasenpoth) kam, weil er hier geboren ist. Beide mussten mit ihren Familien dem Aufruf der Nationalsozialisten folgen, die nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 die bedingungslose „Rückführung auch des letzten deutschen Volksgenossen“ (Zitat aus der Rigaschen Rundschau vom 30.10.1939) ins damalige deutsche Reich anordnete. Das Ehepaar Hirschheydt gehört zu den wenigen „Deutschbalten“, die sich nach dem Ende der Sowjetzeit zur Rückkehr entschlossen. Die meisten der rund 60.000 Menschen, die zwischen 1939 und 1941 Lettland verlassen mussten, sowie deren Nachkommen blieben für immer in Deutschland und halten von dort aus die Erinnerung an ihre Heimat durch Landsmannschaft, deutschbaltische Kulturvereine und Ritterschaften wach.

Deutsche Einflüsse nur noch in der Kultur

Eine dritte Gruppe bilden die wenigen Deutschbalten, die sich Hitlers Umsiedlungsaufruf erfolgreich widersetzten und später auch den Verschleppungen in Gulags durch die Sowjetarmee entgingen bzw. diese Arbeitslager überlebten und später zurückkehrten. Ihre genaue Zahl ist unbekannt, aber so klein, dass man wohl sagen darf, dass ab 1941 auf dem heutigen lettischen Staatsgebiet keine nennenswerte deutschstämmige Bevölkerung mehr existierte.

Zur deutschsprachigen Bevölkerung zählt dagegen noch eine andere, wesentlich größere Gruppe. Die von Stalin aus Kernrussland in die Randstaaten der ehemaligen UdSSR vertriebenen Deutschen, die meist einfach so genannt wurden wie ihre Heimatregion: „Wolgadeutsche“, „Moskaudeutsche“, „Kaukasiendeutsche“. Heute haben diese rund 1400 Personen und ihre Nachkommen entweder die lettische Staatsbürgerschaft – oder aber sie sind, mit eingeschränkten Rechten, in Lettland als so genannte „Nichtbürger“ deutscher Nationalität registriert. Der für diese Personengruppe gerne verwendete Überbegriff „Russlanddeutsche“ ist deshalb problematisch, weil viele der darunter subsumierten Menschen aus Regionen stammen, die heute gar nicht mehr zu Russland, sondern etwa zur Ukraine gehören. So auch Lydia K.

Die von den Diktatoren Hitler und Stalin vorgenommenen Massenumsiedlungen sind somit dafür verantwortlich, dass in Lettland heute praktisch keine „deutsche Minderheit“ im Sinne eines besonderen Rechtsstatus mehr existiert. So wird man deutsche Spuren und Einflüsse künftig nur noch in der Kultur finden können, in Architektur, Literatur, Kunst oder Musik.

Und die jungen Deutschen, die heute nach Riga kommen? Als Bürger der erweiterten Europäischen Union werden historische Faktoren für sie zunehmend unwichtiger. Sie entscheiden sich – wie Pfarrer Martin Grahl – für Lettland, weil sie davon überzeugt sind, „dass es sich lohnt, in diesem jungen, unabhängigen, aufstrebenden Staat zu leben und zu arbeiten“.

Quelle: Baltische Rundschau, Nr. 6/7, 2005 / 7. Juli 2005

 
Links zum Thema
- Deutsche im Baltikum

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