ORNIS-PRESS
ORNIS-PRESS
ORNIS-RSSORNIS-RSS|ORNIS InfoBriefORNIS InfoBrief|  

Sie sind hier: Startseite ›› Themen und Berichte ›› Wissenschaft

Schrift: kleiner | normal | größer

Aussiedler sind seltener herzkrank

Wissenschaft rätselt über die Ursachen
Aussiedler sind seltener herzkrank Aussiedler-MORtalitäts-Studie - Titel der Untersuchung

Einen neuen Anlauf will die Universität Heidelberg unternehmen, den Ursachen von Herz-Kreislaufbeschwerden auf die Spur zu kommen. Dazu können Aussiedler offenbar hilfreiche Erkenntnisse liefern. Besonderheiten bei der russlanddeutschen Bevölkerung waren bereits in früheren Jahren festgestellt worden. Jetzt planen die Wissenschaftler, in der Region Augsburg umfangreiche Befragungen von Spätaussiedlern.

Berlin, im Mai 2011 - Aussiedler in Deutschland sterben seltener an Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Angehörige der einheimischen Bevölkerung. Zu diesem Ergebnis kam bereits eine Studie des Universitätsklinikums Heidelberg im Jahr 2006. Erwartet hatten die Wissenschaftler eine wesentlich höhere Sterblichkeit bei Russlanddeutschen. Noch liegen die Ursachen für die überraschende Erkenntnis im Dunkeln. Doch schon warnen Fachleute, der Trend könne sich in wenigen Jahren umkehren.

Studien aus Nordamerika und Australien belegen, dass Zuwanderer in der Regel die gleiche Sterblichkeit aufweisen wie die Bevölkerung ihrer früheren Heimatländer – zumindest in der ersten Generation. Daher nahmen die Wissenschaftler des Heidelberger Hygiene-Instituts an, dass Aussiedler aus Ländern der früheren Sowjetunion ein drastisch höheres Risiko hätten, etwa an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben. In Russland nämlich liegt schon die allgemeine Sterberate höher als in Westeuropa, bei Todesfällen durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen gar um das Dreifache. Gesicherte Erkenntnisse gibt es nicht, doch Ernährungsdefizite, übermäßiger Alkoholkonsum und Rauchen könnten Gründe dafür sein.

Die Untersuchung der Heidelberger Forscher zur Verteilung der Todesursachen bei Aussiedlern in Deutschland bezieht sich auf die Jahre 1990 bis 2001. Ausgewertet wurden Daten von 34.393 Russlanddeutschen im Bundesland Nordrhein-Westfalen, wo rund ein Fünftel der zugewanderten Aussiedler heimisch geworden ist. Zu den im Herkunftsland vermuteten Gründen einer höheren Sterblichkeit kamen noch vermutete Risiken in Deutschland. Aussiedlern wird ein geringerer sozialer Status zugeschrieben als der heimischen Bevölkerung. Aus Untersuchungen in zahlreichen Ländern weiß man, dass dieser Faktor die Sterblichkeit von Zuwanderern erheblich beeinflusst.

Ihre Hypothesen, so räumen die Wissenschaftler inzwischen ein, haben sich als falsch erwiesen. Die überraschende Erkenntnis: Aussiedler in Deutschland haben nicht nur ein wesentlich geringeres Sterberisiko als die Menschen in ihren Herkunftsländern, sie sterben auch seltener an Herz-Kreislauf-Erkrankungen als ihre einheimischen Nachbarn. Zudem stellte sich heraus, dass deutschstämmige Zuwanderer eine geringere Sterblichkeitsrate hatten, wenn sie in größeren Familienverbänden (fünf Personen und mehr) nach Deutschland eingereist waren - verglichen mit Einzelpersonen oder kleineren Familien. Man vermutet, dass familiäre Geborgenheit und die Zugehörigkeit zu sozialen Netzen sich positiv auf die Gesundheit von Zuwanderern auswirkt.

Ist Aussiedeln nach Deutschland für Russlanddeutsche also ein Beitrag zur besseren Gesundheit? Diese Vermutung wollen die Heidelberger Wissenschaftler gar nicht erst aufkommen lassen. Vielmehr halten sie für wahrscheinlich, dass Russlanddeutsche in den Ländern der  früheren Sowjetunion günstigere Sterblichkeitsraten haben und ohnehin seltener an Herz-Kreislauf-Problemen erkranken als die meisten anderen Bevölkerungsgruppen. Daten, die diese Vermutung stützen könnten, gibt es offenbar nicht. Psychologische Faktoren, der traditionelle Familienzusammenhalt und die Bedeutung religiöser Werte für viele Angehörige der deutschstämmigen Bevölkerungsgruppe könnten nach Auffassung der Forscher zu einer Minderung des Sterberisikos geführt haben.

Wenn die Rate an Todesfällen unter Aussiedlern in Deutschland gar niedriger als die Einheimischer liegt, so wird das Argument, geringerer sozialer Status bereite Stress, auch nicht länger gelten können. Es gebe Hinweise, so die Autoren der Studie, dass Zufriedenheit im Alltag unter Aussiedlern größer sei als in der übrigen Bevölkerung. Auch hier wirkten sich sozialer Zusammenhalt und die Herausbildung einer eigenen kulturellen Identität womöglich positiv aus. Diese Vermutungen müssten allerdings in weiterführenden Studien geprüft werden. In der Region um die bayerische Stadt Augsburg will man daher jetzt weitere Erkenntnisse sammeln und Befragungen unter Aussiedlern durchführen.

Auf eine andere Beobachtung machen die Heidelberger Wissenschaftler ebenfalls aufmerksam: Bei einer kleinen Gruppe jüngerer Aussiedler stellten sie eine höhere Sterblichkeitsrate bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen fest. Demgegenüber nimmt in der übrigen Bevölkerung das Risiko wegen besserer Vorbeugung und moderner Behandlungsmethoden ab. Von diesen Verbesserungen profitieren Aussiedler häufig nicht, da sie das Gesundheitssystem weniger stark nutzen als andere. Hier sollten die Gesundheitsbehörden aufmerksam sein, raten die Wissenschaftler, da die Gefahr bestehe, dass sich die Todesursache Herz-Kreislauf-Erkrankung bei Aussiedlern entgegen dem Trend in der übrigen Bevölkerung verstärken könnte.

Nach oben
Artikel bookmarken:
Diese Seite zu Mister Wong hinzufügen My Yahoo

aus der Projektbeschreibung "Herz-Kreislauf-Krankheiten bei Aussiedlern":

"Spätaussiedler bzw. ihre Vorfahren lebten seit ca. 250 Jahren relativ isoliert in der früheren Sowjetunion. Aus früheren registerbasierten Studien der Antragsteller zeigte sich bei den Spätaussiedlern ein sehr auffälliges Mortalitätsmuster mit einer unerwartet niedrigen Herz-Kreislauf-Mortalität. Die Zusammenhänge sollen nun prospektiv genauer untersucht werden. In der Region Augsburg steht mit dem KORA1-Studienzentrum eine etablierte Infrastruktur sowie Vergleichsdatensätze zur Verfügung, weiterhin ist die Region ein Zentrum für Aussiedler. Ca. 7000 Personen bilden die Studienpopulation. ..."

Für das Forschungsvorhaben in Augsburg ist der Verband "Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg" (KORA) zuständig. Wer sich für eine Teilnahme an den KORA-Studien interessiert, kann hier vorab Antworten auf häufig gestellte Fragen erhalten.