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Festmenü für 50 Kopeken

Helene von Molochowetz hat die russische Küche revolutioniert

Wenig ist bekannt aus ihrem Leben, aber ihr Lebenswerk wirkt bis heute. Die Offizierstochter Helene von Molochowetz hat der russischen Küche ihren Stempel aufgedrückt. Ihr vor 150 Jahren erschienenes Kochbuch stand im Mittelpunkt einer Tagung in Potsdam, bei der es um den Zusammenhang von Küche und Identität ging.

Potsdam, im April 2010 - Im Jahre 1861 krempelte eine junge Frau aus Kursk die russische Küche, ach was, die russische Kultur um. Elena Molochovecs Kochbuch „Geschenk für junge Hausfrauen“ eroberte im Nu die Bestsellerlisten. Ob Borschtsch, ob Seledka pod šuboj, also Heringe im Mantel, oder köstliches Haselhuhn: in Molochovecs klassischem russischem Kochbuch stand einfach alles.

Und nicht nur das. In späteren Auflagen gab Frau Molochovec auch Ratschläge, wie Küche und Hausstand einzurichten seien. Das tat sie in so selbstbewusstem Ton, dass mancher wähnte, ihr Name sei nur das Pseudonym eines Oberst, der seine Liebe zur Kochkunst nicht offenbaren wollte. Bis zur großen Revolution 1917 hielt sich das Buch in 29 Auflagen und schaffte es auf die für damalige Verhältnisse riesige Zahl von einer halben Million Exemplare.

„Das Kochbuch gab es praktisch in jedem Haushalt“, sagt die Slavistin Christine Engel von der Universität Innsbruck, die vergangene Woche ihre 30 Fachkollegen an der Universität Potsdam mit der großen russischen Köchin bekannt machte. Bei der internationalen Tagung „Russische Küche und kulturelle Identität“ ging Engel mit Literatur-, Sprach- und Kunstwissenschaftlern aus Deutschland, Österreich und Russland der russischen Seele via Magen auf den Grund.

Für den durchschlagenden Erfolg von „Geschenk für junge Hausfrauen“ fällt Professorin Engel ein recht profaner Grund ein. „Es ist bis auf Rubel und Kopeke angegeben, mit welchen Preiskategorien man rechnen muss.“ Das ermöglichte der Hausfrau endlich, bei den festlichen Zehn-Gänge-Menüs so großzügig zu erscheinen, wie es die russische Kultur nun mal erwartete, und gleichzeitig auf den Geldbeutel zu schielen.

Ob jenes kleinliche ökonomische Denken auf die Herkunft Elena Molochovecs aus einem lutheranischen Haus zurückzuführen war, war bei den anwesenden Professores umstritten. Recht gaben sie Engel indes in der Feststellung, die russische Kultur kenne neben üppigen Festgelagen auch die Askese. (....)

Der Verdammnis anheim fiel in der Stalinära auch „Geschenk für junge Hausfrauen“. Es erschien den Kommunisten jetzt nur noch als dekadent und bourgeois. Das war umso dreister, als sich das offizielle Kochbuch von 1952 ungeniert bei Molochovecs Rezepten bediente. (Rüdiger Braun, Märkische Allgemeine Zeitung)

Nachtrag

16 Jahre nach der Erstausgabe erschien im Jahr 1877 in Leipzig auch eine deutsche Ausgabe des russischen Bestsellers. Der Titel: "Geschenk für junge Hausfrauen oder Mittel zur Verringerung der Wirthschaftsausgaben". Die Übersetzerin war keine Geringere als die Autorin selbst: Helene von Molochowetz. Über die offenbar deutschstämmige Verfasserin des "klassischen Kochbuchs zur gehobenen russischen Küche" ist nur wenig bekannt und das Wenige ist vornehmlich der US-amerikanischen Autorin Joyce Stetson Toomre zu verdanken, die 1992 ein Buch mit Molochowetz' Rezepten herausbrachte ("Classic Russian Cooking").

Helene von Molochowetz wurde 1831 als Tochter eines deutschstämmigen Offiziers in Archangelsk geboren. Ihr Mädchenname - Burmann - weist auf eine brandenburg-preussische Herkunft hin. Mit ihrem Mann, einem Architekten der Regionalregierung von Kursk, hatte sie zehn Kinder, neun Söhne und eine Tochter.

Obwohl ihr Kochbuch, dem nicht nur die russische Küche auch das inzwischen weltbekannte Filet Stroganoff verdankt, viele Auflagen und im Jahr 1911 gar eine vielbeachtete Jubiläumsausgabe erlebte, gab sich seine Verfasserin offenbar stets zurückhaltend. Ihr wird der Satz zugeschrieben: "Die Zusammenstellung eines Kochbuchs ist von wirklicher Schriftstellerei weit entfernt."

Helene von Molochowetz starb von der Öffentlichkeit unbemerkt vermutlich in den Wirren der Revolution. Während Toomre kein Todesdatum angibt, heißt es in anderen Quellen, womöglich sei sie im Jahr 1918 gestorben. (Ornis)
 
Links zum Thema
- Originalbeitrag in der Märkischen Allgemeinen Zeitung
 
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