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Sieben Jahre gewartet
Kappeln – Nach sieben Jahren Wartezeit hatten Anna Ridlinger (49), ihre Mutter und ihr 24-jähriger Sohn Andrej die Hoffnung fast schon aufgegeben, jemals nach Deutschland aussiedeln zu können. Dann kam doch endlich der Aufnahmebescheid. Die russlanddeutsche Familie verließ Tadschikistan und zog nach Kappeln an der Schlei, berichten die »Schleswiger Nachrichten« am 21. Oktober. Nun besuchen Mutter und Sohn täglich einen Integrationskursus. Seit elf Monaten seien sie nun hier und schauten besorgt in die Zukunft. In Deutschland laufe „vieles anders und alles ist neu für uns“, sagen sie. Dass auch schon für kurze Besuche eine Terminvereinbarung notwendig sei, überrasche sie sehr. Immerhin werde Andrejs berufliche Qualifikation als Elektroniker bald anerkannt. Seine Mutter sei einem Chor beigetreten und habe dort schon viele neue Freunde gefunden.
Nicht alles schlecht
Köln – Bei den rund 15 Millionen Inländern mit Migrationshintergrund treten die größten Schwierigkeiten in städtischen Ballungszentren auf – und hier vor allem bei Türken und Arabern, abgeschwächt bei Osteuropäern, schreibt der »Kölner Stadtanzeiger« am 16. Oktober in einem Beitrag über Integrationshindernisse bei Zuwanderern. Abseits der vielfach öffentlich diskutierten Probleme schreite die Integration andererseits aber auch voran. „Es ist nicht alles schlecht“, heißt es in dem Blatt missverständlich formuliert, „Russlanddeutsche sterben als Soldaten – leider – in Afghanistan.“
„Integration ist nicht über Verbände zu erreichen“
München – Für den bayerischen Integrationsbeauftragten Martin Neumeyer (CSU) ist die Debatte, die der Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin über die Integration von Zuwanderern angestoßen hat, „richtig und wichtig“. Manche Formulierungen seien allerdings nicht nur verletzend und politisch unkorrekt, sondern schlichtweg dumm, schreibt die »Frankenpost« nach einem Gespräch mit dem Politiker am 20. Oktober. Integration sei eine Mammut-Aufgabe, habe Neumeyer geäußert, die nicht nur die muslimische Bevölkerungsgruppe betreffe. Hier gelte es, jeden Zuwandererkreis, beispielsweise auch Russlanddeutsche, anzusprechen. Der CSU-Mann meinte zudem, Integration sei nicht über Verbände oder Vereinigungen zu erreichen. Er wolle Schluss machen mit dem bislang gehandhabten „Eliteprojekt-Denken“. Damit werde lediglich das Anderssein zementiert.
Aussiedler-Jugendtreff wird dichtgemacht
Kempten – Den Aussiedler-Jugendtreff ‚Prinz Franz‘ wird es bald nicht mehr geben, berichtet die »Allgäuer Zeitung« am 22. Oktober. Er wird zum Jahresende geschlossen, weil er nicht mehr finanziell vom Bund (zu 30%), dem Land Bayern (30%) und der Stadt (60%) gefördert werde. Dass mittlerweile wesentlich weniger Aussiedler nach Kempten kommen, habe das Ende des Integrationsprojekts noch beschleunigt, so Jugendamtsleiter Matthias Haugg. Sein Kollege Thomas Baier-Regnery wird in der Zeitung mit der Äußerung zitiert, es gebe vor Ort genügend Beratungs- und Freizeitangebote für Jugendliche. Zudem sei es sogar beabsichtigt, dass die jüngeren Aussiedler künftig die „normalen“ Angebote der Jugendarbeit nutzten.
„Perspektivlos. Rassistisch“
Dresden – Nahezu alle Medien berichteten über den in Dresden angesetzten Prozess gegen den Russlanddeutschen Alexander W., der im Juni dieses Jahres im Gebäude des Landgerichts die schwangere Ägypterin Marwa el-Sherbini mit 16 Messerstichen getötet und deren Ehemann schwer verletzt hatte. Tatmotiv war nach Überzeugung der Ermittler ein ausgeprägter Hass auf Nichteuropäer und Muslime, schreibt unter anderem das »Oberbayerische Volksblatt« am 19. Oktober.
Auch die »Sächsische Zeitung« sieht am 20. Oktober die Tat aus „fanatischem Hass“ auf Nichteuropäer begangen. Zwischen Zuschauer und Prozessbeteiligten sei eine Scheibe aus Panzerglas errichtet worden, die vor allem den Angeklagten schützen soll, heißt es in der »Tageszeitung« vom 22. Oktober. Kurz nach der Tat sei im Internet ein Video aufgetaucht, in dem Islamisten den „hässlichen Russen“ bedroht hätten. „Aggressiv. Ein Einzelgänger. Perspektivlos. Rassistisch. Das ist das Bild, das man von Alexander W. bekommt“, kommentiert die taz. Der Russlanddeutsche sei schon vor der Tat aufgefallen. Einmal soll er auch in einem Kurs für Spätaussiedler jemanden mit dem Messer bedroht haben.
Die »Deutsche Welle« berichtet in ihrem Artikeldienst am 24. Oktober, „die arabische Welt schaut nach Dresden“. Dort habe die Tat für Aufsehen gesorgt, dort ertöne der Ruf nach Vergeltung. »Der Freitag« wiederum schreibt am 25. Oktober, „es bleibt abzuwarten, inwieweit der Prozess auch die Problematik insbesondere der jungen Männer aus Spätaussiedlerfamilien beleuchten wird“. Unter Sozialarbeitern gälten sie als schwierig: „Unfähig, patriarchalische Rollenklischees fortzuleben, isoliert in ihrer neuen Heimat und anfällig für rechtsextreme und nationalistische Parolen.“