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In jedem bleibt eine Wunde zurück

Bilanz: Vor zehn Jahren kam Tatjana Ebert nach Deutschland
In jedem bleibt eine Wunde zurück Tatjana Ebert: "Mein Mann stand mir mit Rat und Tat zur Seite."
Foto: privat

Leipzig (ORNIS) - Von Druschino nach Omsk sind es nur vier Kilometer. Doch nur selten hatte Tatjana Ebert ihr Heimatdorf verlassen – bis die Eltern sich entschlossen, mit ihrer Tochter nach Deutschland auszusiedeln. Tatjana war 17 Jahre alt und hatte gerade ihren Schulabschluss gemacht. In diesen Tagen jährt sich ihre Ankunft in Deutschland zum zehnten Mal – Grund für einen ersten Rückblick. Diana Püplichhuysen hat mit Tatjana Ebert in Leipzig gesprochen.

Frau Ebert, erinnern Sie sich noch an den Tag der Abreise?
An diesem Tag herrschte ein Unwetter – ein starker Schneesturm. Ich kann mich noch genau daran erinnern. Es war so, als würde uns der russische Winter verabschieden. Die Entscheidung, nach Deutschland auszuwandern, hatten meine Eltern getroffen. Ich wurde gar nicht nach meiner  Meinung gefragt, wehrte mich aber auch nie dagegen. Dass wir für immer weg fuhren, machte mir keine Angst.

Welche Erwartungen hatten Sie?
Da ich bis dahin mein ganzes Leben in einem sibirischen Dorf verbracht hatte und selten weiter von zu Hause weg war, schwirrten in meinem Kopf die unterschiedlichsten Bilder von Deutschland umher. Die waren teils durch Erzählungen, teils durch Fotos entstanden. Ich wusste wirklich nicht, was uns dort erwartete, aber ich war bereit, ein neues Leben anzufangen.

Und Ihre ersten Eindrücke von Land und Leuten?
Sie sehen alle aus wie wir, nur sprechen sie nicht russisch, sondern deutsch. Die Menschen, die ich in der ersten Zeit getroffen habe, waren hilfsbereit und freundlich. Wahrscheinlich scheute ich mich deswegen nicht, ständig deutsch zu sprechen. Es war noch nicht perfekt, aber niemand lachte mich aus oder machte dumme Bemerkungen. Bereits in Russland hatte ich Deutsch gelernt. Unsere Lehrerin förderte uns sehr und ich nahm öfters an Spracholympiaden teil. Dafür bin ich ihr noch heute sehr dankbar.

Wie verliefen Ihre ersten Schritte in Deutschland?
Wir sind in Ostdeutschland, in Halle, aufgenommen worden. Weil mein russischer Abschluss nicht anerkannt wurde, wiederholte ich mein Abitur in Bitterfeld, ging später nach Leipzig an die Berufsakademie und bin heute Diplom-Betriebswirtin. Ich kann sagen, dass ich mich mit der Zeit immer besser einlebte. Ich hatte Freunde und Familie um mich, die mir geholfen haben. Vor allem mein Mann René, ein Deutscher, stand mir immer mit Rat und Tat zur Seite. Er begeisterte sich von Anfang an auch für mein Heimatland und alles, was damit zusammenhing.

War es schwer, Freunde zu finden?
Am Anfang wollte ich genau so sein wie die Deutschen. Nach einigen Jahren wurde mir allerdings  klar, dass meine Identität ohne die russische Basis zum Scheitern verurteilt wäre. Obwohl ich mehr deutsche als russische Freunde habe, verbindet mich mit den Menschen russischer Herkunft doch irgendwie mehr. Man hat viele Gemeinsamkeiten, über die man reden und lachen kann. Meine beste Freundin ist und bleibt eine Russin, die ich bereits in meiner Heimat kennen gelernt habe und die heute auch hier wohnt.

Welche Erinnerung haben Sie noch an Ihr Heimatdorf?
Es sind so viele: die Feste, die wir als Gemeinde und in der Familie gefeiert haben, die vertraute Umgebung bzw. das Haus, in dem wir gelebt haben - und mein geliebter Kater. Ich musste ihn zurück lassen. Auch die Ausflüge mit der Klasse und der Familie, die erste Liebe und vieles mehr gehören zu diesen Erinnerungen. Es waren glückliche Jahre.

Hatten Sie als Russlanddeutsche Benachteiligungen zu erdulden?                                                                                   
Meine Mutter stammt aus einer rein deutschen, mein Vater aus einer russischen Familie. Ich persönlich habe nie Diskriminierung oder ähnliches erfahren müssen. Meiner Mutter blieb das, als sie Schülerin und später Studentin war, allerdings leider nicht erspart.

Heimweh – dieses Gefühl kennen Sie gewiss.
Obwohl ich in jungen Jahren ausgewandert bin, habe ich mir in der ersten Zeit geradezu verboten, Heimweh zu empfinden, da ich bei vielen unserer Landsleute gesehen habe, wie sie unglücklich in dem neuen Land lebten und sich nach ihrem früheren Leben sehnten. Ich war offen und wollte mir ein neues Zuhause aufbauen. Heute fühle ich mich so wohl in Deutschland, dass ich es mir nicht mehr vorstellen kann, nach Russland zurück zu gehen. Hier ist mein Heim, meine Familie. Trotzdem bleibt in jedem Menschen, der seine Heimat verlässt, eine Wunde zurück. Man wird ja einfach herausgerissen und muss von neuem anfangen. Die ersten Jahre – die Jahre der Eingewöhnung – die hätte ich mir gern erspart.

Eine Schlussbemerkung?
Ich finde es spannend, dass dieses Interview jemand lesen wird, der vielleicht in einer Küche in Russland beim Tee sitzt und sich zwischen Gartenarbeit und Schulaufgaben mit den Kindern eine Pause gönnt. Manchmal wäre ich gern wieder in so einer Küche.  (© ORNIS, 13. April 2006)


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Links zum Thema
- Tatjana Eberts Internetseite

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