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„Ich schreibe so, wie ich denke“

Russki-Deutsch, Neu-Russisch und der sprachliche Schatten des Eisernen Vorhangs
„Ich schreibe so, wie ich denke“

Berlin (ORNIS) - Der Autor und Journalist Andrej Kobjakow ist ein strenger Beobachter – nicht nur seiner russischen Muttersprache. Auch die deutsche Sprache scheint ihm immer wieder Überraschungen zu bieten. Seit zwei Jahren lebt Kobjakow, der aus Kasan stammt, im Rheinland und hat tagtäglich mit Sprache zu tun

Von Andrej Kobjakow

Die deutsche Sprache gehörte immer zu unseren Familienwerten. Mein Großvater las Werke von Heine und Goethe im Original; meine Mutter arbeitete ein paar Jahre lang als Deutschlehrerin. Meine ersten Worte auf Deutsch waren leider - wie bei Tausenden russischer Kinder meiner Generation: ‚Hände hoch!’ Wir spielten sehr häufig Krieg, der Zweite Weltkrieg war unser Spielthema.

Meine Großmutter hat mir mal gesagt, dass man immer zwischen Faschisten und Deutschen unterscheiden muss. Als Kind konnte ich das nicht kapieren, später schon. Die Frage ‚Wer sind die Deutschen?’ hat sich für mich bis heute nicht völlig geklärt. Es bleibt ein Rätsel, das mich noch immer fasziniert.

Ich ging in Kasan, Hauptstadt der Republik Tatarstan in Russland, in eine Schule mit erweitertem Deutschunterricht. Das wollte meine Mutter, das wollte meine Großmutter, das war auch für mich sehr interessant. Bereits in der ersten Deutschstunde habe ich verstanden, dass das Erlernen einer Fremdsprache eine sehr komplizierte und anstrengende Arbeit ist. Deutsch ist sehr schwer und nicht zu beherrschen! Das war mein erster Eindruck, seitdem hat sich fast nichts daran geändert.

Da ich während der Schul- und Studienzeit sehr aktiv Sport getrieben habe, konnte und wollte ich meine Deutschstudien nicht vertiefen. Während der Zeit des Eisernen Vorhanges ergab es keinen Sinn, so viel Zeit einer Fremdsprache zu widmen.

1988 bin ich ganz zufällig als Tourist in die DDR gereist und völlig enttäuscht zurückgekommen. Enttäuscht war ich ausschließlich wegen meiner Sprachkenntnisse: Es stellte sich heraus, dass ich fast alles vergessen hatte. Ich habe mir daraufhin selbst den Fehdehandschuh vor die Füße geworfen und mir gesagt: Ich muss mein Wissen reaktivieren. Dieses Duell läuft bis heute.

Heute ist Deutsch die Sprache des Landes, in dem ich seit zwei Jahren arbeite und wohne; Russisch ist meine Muttersprache geblieben. In meinem Büro bei der Deutschen Welle ist Deutsch die Amtssprache. Bei meiner Arbeit greife ich meistens auf deutschsprachige Informationsquellen zurück, zumal Themen aus Deutschland im Vordergrund stehen. Innerhalb der einzelnen fremdsprachigen Redaktionen sprechen wir natürlich in unseren Muttersprachen, schließlich machen wir in unseren Sprachen die Berichterstattung. Aber die deutsche Sprache ist dauernd präsent. Ich strenge mich an, schnell zwischen den beiden Sprachen hin- und herzuschalten. Das klappt leider nicht immer so gut, wie ich möchte.

Komische Situationen wegen der interkulturellen Unterschiede zwischen Deutschen und Russen passieren immer. Die nicht besonders komischen Dinge geschehen auch. Wir unterscheiden uns sehr: in erster Linie sprachlich.

Auf Deutsch zu schreiben, fällt mir sehr schwer. Aber ich mache dabei schon seit langem keine Übersetzungen, also bemühe ich mich, direkt auf Deutsch zu schreiben. Direkte Übersetzungen von russischen Wortverbindungen scheinen aus meiner Sicht mal sehr lustig, mal sehr unverständlich und mal sehr nett auszusehen.

Normalerweise schreibe ich so, wie ich denke. Wenn ich mich während des Schreibens an rein deutsche Wortverbindungen und Phrasen erinnere, dann nutze ich diese, wenn nicht, dann nehme ich eine Lehnübersetzung. Ich schreibe auf Deutsch aber sehr selten, und wenn ich schreibe, bin ich sicher, dass meine Texte von einem Muttersprachler redigiert werden.

Die deutsche Sprache ist sehr ‚stark’. Sie beeinflusst das Russische deutlich und dringt in unsere Alltagssprache tief ein: besonders häufig benutzen die Russen, die in Deutschland wohnen, die Wörter ‚Bahnhof’, ‚Termin’, ‚Praxis’ statt übliche russische Wörter. Einige deutsche Verben werden in russischer Form verwendet: putzen = putzat, speichern = speicherit usw. Zu diesem ‚Neu-Russisch’ gehören auch die übertrieben häufige Verwendung von Konjunktiven beim Schreiben. Auch die Interpunktion leidet: die deutsche Zeichensetzung ist einfacher, deshalb wird die Russische vereinfacht. Auch die Reihenfolge von Wörtern in Sätzen ändert sich manchmal auf komische Weise. Das sieht man an der Alltagssprache der so genannten Aussiedler und Kontingentflüchtlinge: so genannte Russlanddeutsche und Juden.

Für Russen, die zu diesen beiden Kategorien nicht gehören, gibt es so gut wie keine Chance, legal nach Deutschland einzuwandern. Sie prägen ein neues Russisch; auch die Betonung ihres Sprechens ändert sich. Im englisch- oder französischsprachigen Raum passiert so was nicht. [Texte in russischen Medien, die in Frankreich, Belgien, England und den USA erscheinen, sind ‚russischer’].

Deutschland ist in Wirklichkeit wie die Frau, die einem nur dann nahe kommt und treu ist, wenn man sie nicht nur bei mondhellen Nächten als frische und junge Schönheit mag, sondern wenn man sie auch als todmüde, kranke und manchmal sogar ärgerliche Alte liebt. In diesem Sinne reicht es nicht, eine Sprache mit ihr zu sprechen. Man muss sie verstehen können, man muss ihr verzeihen, ihr helfen.
(ORNIS/Andrej Kobjakow, 18. Oktober 2006)

Andrej Kobjakows Beitrag wurde unter dem Titel „Hände hoch!“ erstmals in der Berliner Gazette (http://www.berlinergazette.de) im Rahmen des Projekts McDeutsch (http://www.berlinergazette.de/index.php?pagePos=10) veröffentlicht.


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