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Bergisch-Gladbach, im Januar 2010 - Die Publikation von Viktor Bruhl und Michael Wanner „Gedenkbuch Altai und Omsk. Staatsterror an den Deutschen in den Regionen Altai und Omsk 1919-1953“, herausgegeben vom Historischen Forschungsverein der Deutschen aus Russland in Nürnberg, ist keine leichte Lektüre.
Nach der Beschreibung der Ansiedlung der Deutschen in Sibirien an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert, einer sachlichen Analyse der Ursachen und des Verlaufs der politischen Repressalien folgen die von Michael Wanner zusammengetragenen Listen der Opfer mit Namen, Geburtsdaten sowie Gerichtsurteilen. Seltene Archivdokumente ergänzen die Dokumentation über den Staatsterror an der deutschen Bevölkerungsgruppe in den Regionen Altai und Omsk. Sie bestätigen die Schlussfolgerungen von Viktor Bruhl, die er bereits in seinem zweibändigen Buch „Die Deutschen in Sibirien“ formulierte und die eine heftige Diskussion hervorgerufen hatten, etwa ob die Deutschen in der UdSSR einen kollektiven Tribut für ihre ethnische Zugehörigkeit zu zahlen hatten.
Viktor Bruhl
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Nach Viktor Bruhl hatten die Deutschen bereits im zaristischen Russland „Schwierigkeiten“, weil „sie nicht bereit waren sich zu assimilieren (russifizieren)“. Die landwirtschaftliche Kolonisation Sibiriens, die durch die Agrarreformen der russischen Regierung am Anfang des 20. Jahrhunderts beschleunigt wurde, öffnete für landlose deutsche Bauernsöhne aus der Ukraine und dem Wolgagebiet neue Perspektiven. Obwohl ihnen oft wenig ertragreiche Ländereien zugeteilt wurden, erreichten sie häufig schon nach kurzer Zeit durch Erfahrung, Ergeiz und Fleiß einen gewissen Wohlstand.
Außerdem „gaben sie ihre nationale, religiöse und wirtschaftlich-kulturelle Lebensart nicht auf, sondern pflegten und entwickelten sie weiter“, was schließlich nach 1917 als „unvereinbar mit den Dogmen und der Praxis des Sowjetsystem“ galt. So stieß die Sowjetisierung der deutschen Dörfer in Sibirien auf erhebliche Schwierigkeiten, weil es hier kaum Kommunisten in den eigenen Reihen gab. Den deutschen Bauern, die als wohlhabend galten, wurden ständig höhere Steuern und Abgaben als den russischen Nachbarn auferlegt.
In der Folgezeit verließen immer mehr Deutsche das Land. Ihr Ziel: Kanada und Argentinien, wo etliche Sibiriendeutsche Verwandte hatten und wo sie sich eine landwirtschaftliche Existenz aufbauen konnten. Anfang November 1929 hielten sich rund 15.000 deutsche Auswanderungswillige in Moskau und Umgebung auf, in der Mehrheit Deutsche aus Sibirien. Da Kanada und Deutschland (Transitland) sich der Massenaufnahme der Emigranten aus der UdSSR verweigerten, durften nur 5.671 deutsche Bauern auswandern. Bruhl: „Alle anderen Deutschen wurden zwangsweise zu ihren früheren Wohnorten transportiert.“
Kulak = Großbauer
Entkulakisierung = Enteignung und Deportation von Großbauern |
Kollektivierung und Entkulakisierung
In der ersten Hälfte der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde in Westsibirien parallel zur Kollektivierung massiv die Kampagne zur so genannten Entkulakisierung durchgeführt. Ihre Mittel hießen Enteignung und Repression, ihr Ziel war vor allem, wirtschaftliche Vorteile zu erlangen. Nach einem Beschluss des Sibirischen Regionskomitees der Kommunistischen Partei vom 2. Februar 1930 „Über das Tempo der Kollektivierung und der Liquidierung des Kulakentums als Klasse“ sollte die Kollektivierung in den Bezirken Slawgorod und Rubcovsk bis zum 1. Oktober 1931 und im Omsker Bezirk bis zum 1. Oktober 1932 abgeschlossen sein.
Die Versuche der Deutschen, diesen Zwängen zu entgehen, wurden von den Behörden mit allen Mitteln unterbunden. So war beispielsweise verboten, Deutschen Zugfahrkarten zu verkaufen; den Deutschen wurde zudem untersagt, ihre Siedlungen zu verlassen. Allen Betrieben und Institutionen Sibiriens, mit Ausnahme der Kolchosen, war streng verboten, Deutsche aus den umliegenden Dörfern einzustellen. So sahen sie sich vor die Alternative gestellt, entweder den Kolchosen beizutreten oder den Hungerstod zu erleiden.
Im Juni 1930 kam es im Deutschen Rayon zu Protestkundgebungen der Bauern. Höhepunkt der Aktivitäten war eine Zusammenkunft von Emigrationswilligen mit zweitausend Teilnehmern und eine kurzzeitige Besetzung der Verwaltungsgebäude in Halbstadt war. Vermeintliche Rädelsführer wurden verhaftet - insgesamt wurden 823 Personen auf Fahndungslisten gesetzt. Sieben Personen wurden zum Tode durch Erschießung verurteilt, andere zu Gefängnisstrafen.
Im Sommer 1931 wurden allein aus dem Deutschen Rayon 800 Personen als Kulaken nach Norden ausgesiedelt – immerhin ein Fünftel aller Bewohner des Rayons. Im ersten Fünfjahresplan (1929-1933) war geplant, 20 Prozent der Bauernwirtschaften der Sowjetunion zu kollektivieren, was in Wirklichkeit vielfach übertroffen wurde. Zum 1. Oktober 1935 waren in der Region Westsibirien 84,7 Prozent der Bauernwirtschaften zu Kolchosen umgewandelt. Die Deutschen in Sibirien jedoch waren bereits 1931 vollständig kollektiviert. Dennoch hielt die Verbannung von „Kulaken“ weiter an.
Autor Michael Wanner
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Höhepunkt der Repressalien
Schon im Juli 1932 wurde in einem Rundschreiben der Sicherheitsorgane der UdSSR „Über den Kampf mit der Erkundungs-, Schädlings- und Diversionsarbeit der deutschen Faschisten gegen die UdSSR“ auf die vermeintlich subversive Tätigkeit der Russlanddeutschen hingewiesen. Die Sicherheitsorgane hatten die Aufgabe, Personen deutscher Nationalität zu ermitteln, die im Briefwechsel mit Verwandten in Deutschland und anderen Ländern standen. Fachkräfte aus den Reihen der Deutschen, die in Rüstungsbetrieben arbeiteten oder in der Roten Armee dienten, waren besonderer Beobachtung ausgesetzt.
Die Verordnung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei vom 5. November 1934 gab den Repressalien gegen die deutsche Bevölkerung neue Nahrung. Damit kein Zweifel über die Absichten aufkommen konnte, erging der Befehl, „in Bezug auf die aktiven konterrevolutionär und antisowjetisch gestimmten Elemente Repressalien anzuwenden, Verhaftungen und Deportationen durchzuführen, und die böswilligen Führungskräfte zum Tode durch Erschießen zu verurteilen“.
Im Mai 1935 verschickte die politische Geheimabteilung des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten (NKWD) ein Rundschreiben an die lokalen Stellen mit dem Titel „Über die deutsche faschistische Organisation in der UdSSR“, in dem Beschuldigungen gegen die deutsche Intelligenz vorgebracht und Hinweise zu deren Bekämpfung gegeben wurden. Im Januar 1936 hat das NKWD die lokalen Organe darauf angesetzt, Schädlinge in der Volkswirtschaft der UdSSR aufzuspüren – vor allem unter Personen deutscher Herkunft.
Anhand von Archivdokumenten, darunter Untersuchungs- und Gerichtsunterlagen zahlreicher Schauprozesse, beschreibt Viktor Bruhl ausführlich die Repressionen, die ihren Höhepunkt 1937/38 erreichten. Josef Stalin war unmittelbarer Initiator der „Deutschen Operation“ des NKWD in jenen Jahren. Auf einer Sitzung des Politbüros am 20. Juli 1937 ließ er verlauten: „Alle Deutschen in unseren Rüstungs-, Teilrüstungs- und Chemiefabriken, in Kraftwerken und auf Baustellen in allen Gebieten verhaften“. In der Praxis betraf es alle Deutschen, auch diejenigen die in Dörfern lebten.
Viktor Bruhl, Michael Wanner
Gedenkbuch Altai und Omsk. Staatsterror an den Deutschen in den Regionen Altai und Omsk 1919-1953
Historischer Forschungsverein der Deutschen aus Russland (Hrg.)
Nürnberg 2009
Reihe Russland-Deutsche Zeitgeschichte, Band 7, 300 Seiten
ISBN: 978-3-9809613-7-0
Bestellungen und weitere Informationen:
- Dr. Vikor Bruhl (drviktor.bruhl@arcor.de)
- Michael Wanner (wanner.michael@t-online.de)
Links zum Thema |
- mehr zum Buch beim Hist. Forschungsverein der Deutschen aus Russland |
Ihre Meinung |
Helena, 23.01.2010 12:01:43:
Als ich den Artikel gelesen habe, dachte ich zuerst, dass das neu erschienene Buch für meine Mutter interessant wäre. Aber jetzt möchte ich es auch lesen und mehr über meine Landsleute aus Slawgorod und Halbstadt (Nekrasowo) erfahren. Vielen Dank an alle, die die Geschichte der Russlandsdeutschen recherchieren und in die Öffentlichkeit bringen.
Anna, 07.01.2010 22:55:36:
Sehr interessant. Vielen Dank für diesen Beitrag.