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Berlin, im Juli 2011 – In diesem Jahr hatte das Kuratorium des Vereins den jährlich zum Tag der deutschen Einheit vergebenen Preis unter das Motto „Leadership“ gestellt. Eine Übersetzung des englischen Begriffs wollten man den Preisträgern – neben Putin noch die mexikanische Außenministerin Patricia Espinosa, der palästinensische Ministerpräsident Salam Fajad und die Schriftstellerin Betül Durmaz – wohl nicht zumuten und formulierte die erwarteten Eigenschaften der Preisträger so: „Leadership braucht die Entschlossenheit für das Notwendige.“
Bei diesem Leitsatz kam der Jury offenbar gleich Russlands Ministerpräsident in den Sinn – zumindest jenen Kuratoriumsmitgliedern, die bei der entscheidenden Sitzung anwesend waren. Gilt es doch, mit dem Preis Persönlichkeiten zu ehren, „deren Denken und Handeln auf Werte baut. Werte, die Vision, Mut und Verantwortung dienen“.
Hinter dem Preis und solch verschwurbelten Leerformeln steht ein Verein, dem laut SPIEGEL vornehmlich ältere Herren aus Politik und Wirtschaft angehören, deren Zenit seit langem überschritten ist und die sich bei allerlei gesellschaftlichen Ereignissen „ihrer oft vergangenen Bedeutung vergewissern“. Ein solches Ereignis ist der seit 2003 vergebene Quadriga-Preis, bei dem sich teils ehrenwerte Personen und häufig ehrenwerte Preisträger ein Stelldichein geben in einem Ambiente, das, so wollen es die Veranstalter, demokratische Gesinnung und repräsentative Feierkultur in Einklang bringt.
Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin
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Für dieses Jahr nun hatte sich die ehrenwerte Gesellschaft (Motto: „Wir ehren Werte“) Präsident Putin als einen der Preisträger ausgesucht. Die Begründung ist von Skrupeln ebensoweit entfernt wie von der Gewissheit über die Verdienste des Kandidaten: „Im Inneren schaffte und schafft er Stabilität durch das Zusammenspiel von Wohlstand, Wirtschaft und Identität."
Kaum war der Preisträger benannt, ging ein Sturm der Entrüstung los. Kuratoriumsmitglieder von „Werkstatt Deutschland“ kündigten ihren Rückzug aus dem Gremium an. Selbst aus den Regierungsparteien meldeten sich Kritiker. Mehrere frühere Preisträger drohten, ihre Quadriga aus Protest zurückzugeben. Unter ihnen auch der frühere tschechische Präsident Václav Havel, dessen Haltung möglicherweise den Ausschlag gegeben hat, das angeblich 200.000 Euro teure Spektakel schließlich komplett abzusagen.
Der Widerstand gegen die „groteske Auszeichnung“ (Frankfurter Rundschau) erfasste auch Menschenrechtler und Oppositionelle in Russland. Boris Belenkin von Memorial fragte: „Was macht Putin in einer Reihe mit Michail Gorbatschow und Vaclav Havel?“ Und die Zeitung Nesawissimaja Gazeta erkannte gar Unterstützung von deutscher Seite für die Präsidentenwahl im kommenden Jahr.
Die Blamage für „Werkstatt Deutschland“ könnte nicht größer sein. Peinlich auch für den laufenden „Petersburger Dialog“ in Wolfsburg, der in diesem Jahr unter dem Motto „Bürger Gesellschaft und Staat“ steht. An verantwortlicher Stelle sowohl bei Werkstatt als auch bei Dialog sitzt nämlich Lothar de Maiziere, letzter DDR-Ministerpräsident, williger aber verstoßener CDU-Parteisoldat und seit einem Jahr Inhaber des russischen „Ordens der Freundschaft“, vormals Orden der Völkerfreundschaft.
Lothar de Maiziere
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Der Petersburger Dialog, der das Zusammenwirken der Zivilgesellschaft in beiden Ländern stärken will, geht auf eine Initiative Putins und des früheren Bundeskanzlers Schröder zurück. So erklärt sich auch, dass die Zivilgesellschaft weitgehend außen vor bleibt und der Dialog zu einer Veranstaltung wurde, die von Kreml und Bundeskanzleramt orchestriert wird.
Für das erstarrte Zeremoniell, so scheint es, ist Lothar de Maiziere als Chef des deutschen Lenkungsausschusses zuständig. Und wer seine Kreise stört, wird – gewiss nicht zum Missfallen des Kreml – schnell abgestraft, wie die angesehene Menschenrechtsorganisation Memorial im vergangenen Jahr erleben musste. Immerhin hatte seine Attacke auf Memorial bei einigen Teilnehmern den Eindruck entstehen lassen, de Maiziere sei vielleicht nicht der richtige Mann auf diesem Posten. Eine Ansicht, der man sich nach den Ereignissen der vergangenen Tage wohl auch im Kanzleramt nicht mehr ganz verschließen will. (Ulrich Stewen)
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Meinungen "In seiner ersten Präsidentschaftsansprache im Juni 2000 merkte Putin ganz richtig an, dass drei Dinge das wirtschaftliche Wachstum behindern: hohe Steuern, Korruption sowie Tyrannei und Kriminalität von Bürokraten. 'Um diese Schwierigkeiten zu überwinden, müssen wir den Staat stärken', sagte Putin. Tatsächlich: der Staat wurde gestärkt, die Anzahl der Bürokraten verdoppelt und die Höhe der Schmiergelder mindestens verzehnfacht. Zudem haben die Siloviki, Vertreter von Geheimdiensten und Armee, kriminelle Elemente und Sicherheitskräfte miteinander verschmolzen. Es ist nun an der Zeit zu fragen, was die Vorteile dieses vertikalen Systems sind, das wir so mühsam errichtet haben. Und warum ist der Mann an der Spitze, der dieses Modell geschaffen hat, niemandem dafür Rechenschaft schuldig?"
"In der russischen Zivilgesellschaft waren viele heilfroh, dass dieser Preis zurückgezogen wurde. Dort ist man viel kritischer gegenüber der Putin-Regierung als wir uns das im freien Westen trauen." Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, in der Märkischen Allgemeinen, 19. Juli 2011 |