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Göttingen, im Februar 2008 - Russland hat ein demografisches Problem. Die Bevölkerung wird älter und kann auf die Erfordernisse einer in die Modernisierungsphase eingetretenen Volkswirtschaft nicht im erforderlichen Umfang reagieren. Es mangelt vor allem an qualifizierten Arbeitskräften. Der Zuzug von Russen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken - aus dem Baltikum, aus Mittelasien - nach Russland hält sich in Grenzen, um so mehr, da man auch dort den Wert dieses Arbeitskräftepotenzials erkannt hat und sich daher auch dort um sie bemüht.
Seit geraumer Zeit läuft eine weltweite Kampagne, die von der russischen Regierung initiiert wurde, gefördert und finanziert wird. Man möchte einen Teil der 25 bis 30 Millionen ehemaligen sowjetischen Landsleute zurückholen. Die bisherige Bilanz sieht trotz aller Bemühungen und materieller Verlockungen eher bescheiden aus: Anstelle tausender Rückkehrer, auf die man sich in bestimmten Regionen wie in Kaliningrad schon eingerichtet hatte, kommen hie und da ein paar Dutzend.
2006 fand in St. Petersburg der ‚Weltkongress der Landsleute’ statt, an dem auch eine Delegation aus Deutschland teilnahm. Auf diesem Forum wurde beschlossen, weltweit Koordinationsräte der russischen Diaspora zu bilden. In Deutschland trafen sich ehemalige Landsleute aus Russland und veranstalteten am 9. und 10. Juni 2007 in Köln den ‚1. Kongress [ehemaliger] russländischer Landsleute in Deutschland’, im Juli wurde dann in Nürnberg der Koordinationsrat für Deutschland gegründet, der die Interessen der russischsprachigen Diaspora wahrnehmen soll, die man mit 3,5 bis 4 Millionen Menschen beziffert. Spätestens an dieser Stelle regte sich der Unmut russlanddeutscher Verbände und vieler Spätaussiedler, die sich hier in eine Rolle gedrängt sahen, die sie nicht einnehmen wollten.
Von den 3,5 Millionen ehemaligen ‚russländischen Landsleuten’ sind nämlich 2,5 Millionen Russlanddeutsche, die nach Deutschland gekommen sind und nach dem Grundgesetz Deutsche sind. Abzüglich der jüdischen Zuwanderer, die oft aus Angst vor einem aufkeimenden Antisemitismus in ihren Herkunftsländern nach Deutschland gekommen sind, verbleiben - auch nach Berechnungen der Süßmuth-Kommission - noch 500.000 ehemalige Bürger aus Russland, die man als russische Diaspora bezeichnen könnte.
Interessant ist, dass die in Deutschland als gemeinnützig registrierten Kulturvereine, die sich hauptsächlich der Pflege und Verbreitung russischer Kultur widmen, als Träger der Kongresse und Runden Tische der russländischen Landsleute auftreten, die von russischen Regierungsstellen unterstützt und finanziert werden. Dazu gehört auch die Finanzierung russischsprachiger Medien und Internetportale, wie etwa die Internetseite www.ruvek.ru („russisches Zeitalter“), auf der es hauptsächlich um die Rückholung ehemaliger Bürger Russlands geht.
Vertreter der Russischen Botschaft und der russischen Konsulate, Regierungsvertreter und Duma-Abgeordnete nehmen an den Konferenzen und Veranstaltungen teil und propagieren einerseits die Konsolidierung der russischen Nation weltweit, die Förderung der russischen Sprache und Kultur zur Verbesserung der Integration, andererseits immer stärker auch das Präsidialprogramm zur Förderung freiwilliger Rückkehrer aus dem Ausland.
Russlanddeutsche Aussiedler registrieren verärgert, dass sie ungefragt in diese Aktivitäten eingespannt werden. In einem Artikel der in Deutschland erscheinenden russlanddeutschen Zeitschrift ‚Ost-West-Panorama’ (Nr.8/07, S. 6 ff.) hieß es dazu im August vergangenen Jahres: „Man will unsere Leute [...] wie Schafe in eine Herde stecken, ihnen fremde Leithammel vor die Nase setzen und die verirrten Schafe zurückführen.“
Weiter heißt es in dem Beitrag: „Uns russlanddeutsche Spätaussiedler in Deutschland erfüllt es mit großer Besorgnis, wenn wir von Russland einfach als ‚russische Diaspora von Landsleuten’ eingestuft werden. Denn bei aller Liebe zur russischen Kultur und zur russischen Sprache, bei aller Hochachtung vor dem russischen Volk können die russischen Politiker nicht einfach übersehen, dass in der Retrospektive die Geschichte der Deutschen in Russland eine Tragödie war.“
‚Ost-West-Panorama’ vermutet dafür zudem ganz profane - materielle - Gründe. Für 4 Millionen „Landsleute lassen sich schließlich mehr Fördermittel abschöpfen als für nur 500.000“.
Irina Fixel, Mitglied des Weltkoordinationsrates russländischer Landsleute, die im vergangenen Jahr in Nürnberg zur Vorsitzenden des Deutschland-Koordinationsrates der russländischen Landsleute gewählt wurde, hat das in einem Interview der Zeitung „Russkaja Germanija“ anlässlich der Landeskonferenz der ehemaligen Landsleute in Bayern am 12. Januar indirekt bestätigt: „[...] Unser Ziel ist es, die Reihen der in Deutschland lebenden ehemaligen Bürger Russlands zu schließen, damit sie sich hier ebenso sicher fühlen wie zum Beispiel die gut organisierte türkische Gemeinde. In diesem Zusammenhang ist mir die Position einiger russlanddeutscher Organisationen unverständlich, die ihren Mitgliedern die Teilnahme an unserem Gründungskongress in Nürnberg verboten haben. Was soll´s: Wenn sie sich nicht anschließen wollen, muss man sie eben führen!“ (Norbert Krallemann)
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![]() „Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland hat sich an dieser Veranstaltung nicht beteiligt, da wir Menschen vertreten, die als Deutsche nach Deutschland gekommen sind und sich hier als solche integrieren wollen. Gleichzeitig betonen wir aber immer wieder, dass die russischen Sprachkenntnisse unserer Landsleute ein wertvolles Gut darstellen, das ihnen unter anderem auch bei ihrem beruflichen Fortkommen von Nutzen sein kann.“ Adolf Fetsch, Vorsitzender der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, im August 2007 gegenüber ddp auf die Frage nach der Beteiligung seines Verbands am Kongress der russländischen Landsleute in Nürnberg |